Am 29. Februar 2012 lud eco zum PolITalk nach Berlin. Das aktuelle Thema: „Der verwarnte Nutzer “ sollen Provider ihre Kunden maßregeln?“ Die Diskussion, wie Urheberrechtsverletzungen im Netzrechtskonform bekämpft werden können, lockte – dem Länderspiel zum Trotz “ circa 100 Gäste in die Veranstaltungsräume an der Friedrichstraße.
Nach der Begrüßung durch den Vorstandsvorsitzenden des Verbandes, Prof. Michael Rotert, lauschten sie dem Impulsvortrag von Staatssekretär Hans-Joachim Otto. Er stellte die Ergebnisse einervergleichenden Studie vor, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zur Wirksamkeit von Warnhinweisen bei der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht in Auftrag gegeben hatte.. Invielen europäischen Ländern wurden solche Modelle zu unterschiedlichen Zeitpunkten angedacht, jedoch zumeist aus rechtlichen Erwägungen wieder verworfen oder ausgesetzt. Lediglich Frankreich hat vonstaatlicher Seite ein entsprechendes Modell eingeführt. Dessen Ergebnisse hatten ihre Wirkung auf den Vortragenden nicht verfehlt: Mehrfach betonte er, dass es mit dem französischen HADOPI-Verfahrengelungen sei, von einer sechsstelligen Zahl einzelner Urheberrechtsverletzer ausgehend zu einer nur dreistelligen Zahl mehrfacher Wiederholungstäter zu kommen. Das von den Verfassern der BMWi-Studieentworfene „vorgerichtliche Mitwirkungsmodell“ könnte ähnliche Effekte für Deutschland ermöglichen. Die entstehenden Kosten wären dabei zu mindestens drei Viertel von den Rechteinhabern zu tragen.Zum Abschluss überraschte Otto mit der These, das Verfahren käme ohne Nutzung personenbezogener Daten aus.
Diese Ansichten konnten die Teilnehmer des anschließenden Diskussionsrunde nicht teilen. In der von Oliver Süme, Vorstand Politik, Recht & Regulierung, moderierten Runde stellte zunächst MdB Michael Kretschmer, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, den Bedarf an einem neuen System generell in Frage. Er verwies darauf, dass es mit dem Abmahnverfahren bereits einvorgerichtliches Verfahren gebe. Nur würde das System anders angewandt als vom Gesetzgeber beabsichtigt. Sinnvoll sei deshalb eine Begrenzung der horrenden Abmahnkosten auf 100 Euro im Fall vonnicht-gewerblichen Vergehen “ und eine realitätsnahe Definition, wann diese Nicht-Gewerblichkeit gegeben ist. Um eine Verfolgbarkeit zu sichern, sollten die Provider allerdings sicherstellen, dassdie notwendigen Daten vorhanden sind.
MdB Burkhard Lischka, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sah ebenfalls mehr Sinn in der Bändigung des ausufernden Abmahnverfahrens. Er zweifelte zudem an der Rechtmäßigkeit desvorgeschlagenen vorgerichtlichen Warnhinweismodells. Zwar würden die Rechteinhaber die Nutzerdaten nicht erhalten. Dennoch sei es nicht richtig, dass das Verfahren ohne personenbezogene Datenauskäme. Die beim Provider vorhandenen Daten müssten in unzulässiger Weise verarbeitet werden; nach geltender Rechtsprechung ein Bruch des Fernmeldegeheimnisses. Der Rechtsbruch gehe bis hin zurAnlage einer Datenbank mit Wiederholungstätern “ allerdings ohne dass jemals eine rechtsstaatlich legitimierte Stelle eine Täterschaft festgestellt hätte. Zielführender sei es, das Urheberrecht aufeine Weise zu reformieren, die diesem Rechtsgut wieder Akzeptanz verschafft.
Mark Vasic als Repräsentant der Deutschen Telekom AG konnte dem Warnhinweismodell ebenfalls nichts abgewinnen. Aus seiner Sicht sei seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.Januar 2012 klar, dass die Provider in das Fernmeldegeheimnis der Kunden eingreifen müssten. Zudem würden hier ganz klar in Widerspruch zum Datenschutzrecht personenbezogene Daten verarbeitet. Auchdie Aussicht, dass die Kosten dafür größtenteils von den Rechteinhabern zu tragen seien, änderte seine ablehnende Haltung nicht. Das Verfahren laufe auf eine Kriminalisierung der Schulhöfe hinaus „besser sei es, attraktiv bepreiste legale Angebote zu schaffen und so Akzeptanz für das Urheberrecht in einem digitalen Umfeld zu schaffen. Zudem belasteten Warnhinweise, die von den Providernversendet werden, die Beziehung zu den Kunden und würden einen tiefgreifenden Eingriff in die Kundenbeziehung darstellen.
Staatssekretär Otto führte abschließend das Argument ins Feld, dass dringender Handlungsbedarf bestehe und das Verfahren zumindest wirksam sei. Wichtig sei aus seiner Sicht die schnelle Folge desWarnhinweises auf die Urheberrechtsverletzung “ diese sei bei Einbindung von Gerichten nicht zu gewährleisten. Wer als konkreter Absender der Hinweise auftrete, sei für ihn irrelevant “ diesmüssten nicht die Provider sein. Er könne sogar mit Lösungen leben, die ganz ohne Warnhinweise auskämen. Allerdings sollten dann die Gegner der Warnhinweise praxistaugliche, rechtskonforme Methodenvorschlagen.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden noch mehrere Aspekte vertieft, unter anderem die mangelnde Zielgenauigkeit des Abmahnwesens und die zögerliche Öffnung der Rechteinhaberfür internetbasierte Vertriebsmodelle, die nach Ansicht einiger Gäste das Problem erst geschaffen habe. Mit diesen Denkanstößen wurden die Themen des Abends im anschließenden freien Gespräch weiterdiskutiert.