21.01.2015

Wer regiert das Internet?

eco audiomagazin 2015-01

Von der technischen Seite des Internet – also der Welt der Glasfaserkabel, Austauschknoten, Router und Server haben einige zumindest eine grobe Vorstellung.

Aber wer legt die Regeln für das Internet fest? Gibt es so etwas wie eine weltweite Internetorganisation? Wer regiert das Internet?

In der ersten Ausgabe des eco audiomagazin 2015 fragen wir dazu den Internet-Governance-Experten Prof. Wolfgang Kleinwächter und eco Director Names & Numbers Thomas Rickert.

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Das Thema „Internet Governance“ ist derzeit aufgrund der anstehenden Diskussionen über den Rückzug der US-Regierung aus der sogenannten IANA-Funktion bei ICANN in aller Munde. Allerdings ist dieser Bereich auch ein weithin unbekannter, so dass sich die Frage stellt: Woher kommen eigentlich die Personen, die sich im Bereich Internet Governance auskennen? Und wie werden sie so „fit für die Praxis gemacht“, dass sie sich tatsächlich zu qualifizierten Teilnehmern dieser Diskussion heranbilden lassen?


Thomas Rickert: Ich habe Prof. Dr. Wolfgang Kleinwächter von der Universität Aarhus bei mir, der derzeit auch im ICANN-Direktorium vertreten ist. Mit ihm möchte ich gerne über die Summer School on Internet Governance sprechen, die jährlich in Meißen stattfindet. Wie kam es zu dieser Initiative?

Wolfgang Kleinwächter: Nun, der Hintergrund ist der, dass bei dem ersten Weltgipfel 2003 in Genf ein Streit über Internet Governance ausbrach, weil sich Chinesen und Amerikaner darüber in die Haare bekamen, wie weltweit Internet Governance gemanagt werden sollte. Während die Amerikaner für das Prinzip der Private-Sector-Leadership waren, wollten die Chinesen das Internet unter Regierungskontrolle stellen. Im Ergebnis dessen entstand die Idee, eine Arbeitsgruppe zu beauftragen, da man das Problem nicht lösen konnte. Das Ziel sollte die Lösung dieses Konflikts bis zum zweiten Weltgipfel – der wiederum in Tunis 2005 stattfand – sein. Im Rahmen der daraufhin gebildeten Internet Governance Arbeitsgruppe waren viele Regierungsvertreter und auch einige Akademiker tätig. Und viele Regierungsvertreter stellten die Frage, wo man denn Internet Governance studieren könne, um sich zu diesem Thema Wissen anzueignen. Und da haben wir festgestellt, dass es im Grunde genommen kein reguläres Studienfach ist: Keine Universität der Welt bietet oder bot damals Kurse zu Internet Governance an. Daraufhin haben die akademischen Mitglieder der Internet Governance Arbeitsgruppe einen Workshop organisiert, in dem überlegt wurde, wie das Problem gelöst werden sollte. Die Idee, selber einen Kurs zu entwickeln, wurde dort geboren. Ein Erfolg war dann die Gründung des Global Internet Governance Academic Network – GIGA Net und die Idee einer Sommerschule mit einem 40-Stunden-Programm auf Master-Level. Daraus hat sich die Sommerschule für Internet Governance entwickelt.

Thomas Rickert: Wer darf da teilnehmen?

Wolfgang Kleinwächter: Jeder! Wir machen einen öffentlichen Call. Wir haben jedes Jahr weit über 100 Bewerbungen. Wir haben ein Komitee, das – entsprechend der Kriterien – die besten Kandidaten auswählt. Wir haben 30 Plätze, die wir vergeben können. Davon geht die Hälfte über Fellowships und die andere Hälfte sind Selbstzahler. In beiden Gruppen haben wir wirklich sehr viele Kandidaten mit sehr guten Voraussetzungen und müssen leider viele zurückweisen.

Thomas Rickert: Was haben die Kandidaten für einen Hintergrund?

Wolfgang Kleinwächter: Unser Slogan lautet: Learning in a multi stakeholder environment. Das heißt, wir versuchen schon bei der Auswahl der Fellows eine Mischung herbeizuführen: Wir suchen Kandidaten, die aus der politischen oder aus der wirtschaftlichen Praxis kommen, ebenso wie Kandidaten, die einen technischen oder akademischen Hintergrund haben. So haben wir einen guten Mix aus Fellows, die dann auch untereinander voneinander lernen können. Das betrifft auch die Zusammensetzung der Faculty. Wir haben etwa 25 Mitglieder in der Faculty, die in Regierungen, in technischen Gremien oder in der Privatwirtschaft arbeiten, ebenso wie Akademiker und Personen aus der Zivilgesellschaft.

Thomas Rickert: Wie muss man sich denn dieses Programm vorstellen? Was sind Unterrichtsfächer? Und wie ist die Umgebung in der man lernt?

Wolfgang Kleinwächter: Wir haben drei Layer für dieses Programm: Einen theoretischer Layer, in dem die Fellows in die rechtlichen Rahmenbedingungen, in die Geschichte des Internets, in politologische Konzepte, in Regulierung und Frameworks eingeführt werden. Dann haben wir die mehr technische Ebene; hier werden die Fellows vertraut gemacht mit dem Rootserver Management, mit IP-Adress-Management, mit dem Management von Domain-Namen (z.B. was sind Registries, was sind Registrare oder was sind ISP). Dann haben wir noch den mehr politisch-wirtschaftlichen Teil, in dem die verschiedenen Stakeholder ihre Interessen darlegen. Wir haben zum Beispiel ein Wirtschaftsblock, in dem große Unternehmen sagen, warum sie sich für Internet Governance engagieren. Ebenso haben wir einen Block, in dem Vertreter aus internationalen Organisationen (UNO, CSDD, ITU) erklären, wie dies aus der Sicht der Regierung aussieht. Und das trifft dann auch oft auf die zivilgesellschaftlichen und technischen Communitys zu.

Thomas Rickert: Das ganze findet in einem Kloster statt?

Wolfgang Kleinwächter: Ja, das war sehr charmant, denn wir suchten eine Stätte, die es sozusagen erlaubt, in einer gewissen Abgeschiedenheit diese Woche zu verbringen. Und das gute an diesem St.-Afra-Kloster in Meißen ist, dass Meißen einer sehr schöne Stadt ist. Das Kloster ist über 700 Jahr alt. Aber wenn man mal 15 Minuten durch Meißen gegangen ist, hat man alles gesehen. In Meißen gibt es keine Strände, keine Shoppingmalls und auch keine Diskotheken. So bleibt den Fellows nichts anderes übrig, als früh vom Frühstück an bis spät in den Abend hinein über Internet Governance zu reden. Der Vorteil des Klosters ist, dass alles unter einem Dach ist: Essen, schlafen, lernen aber auch Wein trinken, was die alten Klosterschüler ja immer gerne gemacht haben. Meißen ist eine Weinstadt. All das ist sehr förderlich für eine sehr intensive Ausbildung.

Thomas Rickert: Man hört teilweise, dass die Sommerschule in Meißen sich inzwischen zu einer Art Kaderschmiede gemausert hat. Gibt es einige Beispiele für Personen, die teilgenommen haben und die eine Art Karriere im Bereich Internet Governance gemacht haben?

Wolfgang Kleinwächter: Ja, einer unserer Slogans ist: Teaching the internet governance leaders of tomorrow. Und wir haben ja jetzt schon den achten Jahrgang hinter uns und nächstes Jahr ist der neunte. In einem weiteren Jahr feiern wir dann den zehnten Jahrestag. Zum Beispiel, wenn man heute ins GAC geht, dann sind da 4-5 Vertreter, die ihre Regierung jetzt im GAC bei ICANN vertreten. Die waren entweder Fellows oder Members der Faculty. Es ist schon eine interessante Sache, dass auch in anderen Gremien – im GNSO Council und im At-Large Advisory Committee – zu sehen ist, dass nach ein paar Jahren Fellows von der Meißen Sommerschule in verschiedenen Funktionen auftreten. Andrea Glorioso zum Beispiel, der die europäische Kommission im GAC vertritt, war ein Fellow der ersten Stunde. Der Zahid Jamil, der im GNSO Council eine wesentliche Rolle spielt, und auch bei NETmundial eine Arbeitsgruppe geleitet hat, war in unserem ersten Jahrgang. Und so gibt es eine lange Liste von Namen, die nach vier, fünf oder sechs Jahren plötzlich in verschiedensten Funktionen sowohl bei ICANN, als auch beim IGF und in anderen Internet Governance Gremien aufkreuzen. Das macht uns natürlich stolz.

Thomas Rickert: Jüngstes Beispiel dürfte das Board Mitglied Renalia sein, die im vor-vergangenen Jahr, wenn ich mich recht erinnere, Fellow an der Fakultät war, richtig?

Wolfgang Kleinwächter: Ja, ich kann nur noch einmal wiederholen, dass unsere Strategie bezüglich der Auswahl von Fellows richtig war: Nicht auf jetzige Undergraduates zu gehen, sondern auf Leute, die vielleicht schon einen bestimmten Schritt in ihrer Karriere gemacht haben. Sie bekommen praktisch in Leipzig den letzten Schliff und die Brücke vom Lernenden hin zum Agierenden wird gebaut.

Thomas Rickert: Abschließende Frage: Wie wird die Summerschool on Internet Governance finanziert?

Wolfgang Kleinwächter: Die Sommerschule mit Bronze-Sponsor-Status wird von der Community unterstützt und von eco – dem Verband für deutsche Internetwirtschaft, der ja Teil der Community ist. Dafür sind wir sehr dankbar. Aber die Hauptsponsoren sind die Registries und Registrare von ICANN. Auch einige andere größere Unternehmen, die mit kleineren Beiträgen helfen, wie AT&T, Verizon, Facebook. Wir haben die Finanzierung so aufgebaut, dass wir relativ unabhängig sind. Das heißt, wir haben viele Partner, die wenig Geld geben, was insgesamt aber das Budget zusammen bringt, damit wir diese Sommerschule organisieren können.

Thomas Rickert: Eco, der Verband für deutsche Internetwirtschaft e.V. nimmt also nicht nur an der politischen Willensbildung teil, sondern ist auch an der Nachwuchsausbildung interessiert. Eco sorgt somit aktiv dafür, dass diejenigen, die Entscheidungen treffen, das notwendige Fachverständnis haben, um sicher zu stellen, dass Entscheidungen getroffen werden, die den Interessen der Wirtschaft nicht entgegen laufen.

Wolfgang Kleinwächter: Ja, hier möchte ich auch noch anmerken, dass eco von der ersten Stunde an nicht nur die Sommerschule finanziell unterstützt hat, sondern auch immer Mitglied der Faculty war. Die Vorträge, die die Vertreter von eco an der Sommerschule gehalten haben, haben sich in Sonderheit durch große Praxisnähe ausgezeichnet und das ist genau das, was wir vermitteln wollen: Theorie und Praxis als Einheit präsentieren und nicht abgehobene Akademikerarbeit betreiben.

Thomas Rickert: Vielen Dank Professor Kleinwächter!