19.06.2015

Politisches Forum zur Vorratsdatenspeicherung: Regierungsparteien bleiben Antworten schuldig

Im Rahmen eines Politischen Forums brachte eco am Mittwoch Befürworter und Kritiker zusammen, um über die geplante Wiedereinführung der anlasslosen und massenhaften Speicherung von Kommunikationsdaten zu diskutieren. Auf dem Podium im Collegium Hungaricum stellten sich die Bundestagsabgeordneten Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Christian Flisek (SPD) und Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) sowie eco Vorstand Oliver Süme der Debatte und später den Fragen der rund 60 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft.

Während Volker Ullrich den vorliegenden Gesetzesentwurf der Bundesregierung als „guten Kompromiss“ lobte, der weit unter dem bliebe, was rechtlich möglich gewesen wäre, übte Renate Künast, Vorsitzende im Ausschuss für Justiz und Verbraucherschutz, scharfe Kritik am Entwurf und beklagte eine „Verrohung der Sitten beim Gesetzemachen“ im Hinblick auf den von der Bundesregierung mit großer Eile vorangetriebenen parlamentarischen Prozess. Ein Gesetz, das einen  solchen Grundrechtseingriff mit sich brächte, könne man so nicht bearbeiten, sagte Künast und zitierte unter anderem zwei Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, die an verschiedenen Stellen des Gesetzesentwurfs verfassungswidrige Regelungen feststellen.

Christian Flisek sagte, die SPD mache sich die Entscheidung in Sachen Vorratsdatenspeicherung nicht einfach und werde am Samstag beim geplanten Parteikonvent in einen intensiven Dialog gehen. Bei allen eigenen Vorbehalten müsse man allerdings anerkennen, so Flisek, dass es sich beim vorliegenden Vorschlag um den „grundrechteschonendsten Ansatz in ganz Europa“ handele. Dennoch müsse die Frage nach dem Nutzen dieses Gesetzes auch nach seiner Verabschiedung weiter gestellt werden. Flisek schlägt daher die Einführung einer sogenannten „Sunset“-Klausel (festgelegtes Auslaufdatum der Regelung) sowie einen wissenschaftlichen Monitoringprozess vor.

Oliver Süme kritisierte erneut die mangelhafte Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs. Dieser enthalte viele Regelungen, die die betroffenen Unternehmen technisch so nicht umsetzen könnten. Verfassungsrechtlich zweifelhaft und technisch nicht lösbar sei beispielsweise der vorgesehene Umgang mit Berufsgeheimnisträgern. Ebenfalls problematisch sei die Umsetzung des vom Bundesverfassungsgericht als grundrechtskonforme Speichermöglichkeit genannte „asymmetrische Verschlüsselung“. Hier müsste jeder Datensatz einzeln verschlüsselt und ein Index für Suchanfragen programmiert werden. Auch die im Gesetzesentwurf geforderte Speicherung der Daten Auf „vom Internet entkoppelten“ Systemen sei unrealistisch, da dies bedeute, die Daten müssten alle paar Minuten per USB-Stick in ein getrenntes System überspielt und bei einem gewünschten Zugriff wieder händisch herausgenommen und an die Strafverfolgungsbehörden geschickt werden.

Süme warnte die Bundesregierung außerdem davor, den Unternehmen ein zweites Mal enorme Umsetzungskosten in Millionenhöhe aufzubürden für ein Gesetz, das mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder vom Bundesverfassungsgericht kassiert werde. Süme wurde unterstützt von zahlreichen Stimmen aus dem Publikum.

So wandte sich der Seelsorger und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen mit einem eindringlichen Statement für den Schutz von Berufsgeheimnisträgern an die Bundesregierung. Das Beichtgeheimnis sei das Vertrauenskapital aller Seelsorger. Die geplante Regelung zur Vorratsdatenspeicherung könnte dieses Vertrauenskapital zerstören und damit die Berufsausübung des Seelsorgers unmöglich machen.

Sowohl Künast als auch Wirtschaftsvertreter aus dem Publikum stellten mehrfach die Frage nach dem zu erwartenden Nutzen des geplanten Gesetzes und verwiesen dabei auf empirische Untersuchungen, die belegten, dass die frühere Praxis der Vorratsdatenspeicherung (, die das  Bundesverfassungsgericht 2010 für nichtig erklärte) in Deutschland zu keinem Effektivitätsgewinn in der Strafverfolgung geführt hat. Flisek und Ullrich konnten dem lediglich Verweise auf Einzelfälle entgegensetzen.

Weitgehende Einigkeit herrschte an diesem Abend darüber, dass die geplante Regelung noch viele Fragen offen lasse und daher gründlich weiter diskutiert werden müsse.

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