Oliver J. Süme, eco-Vorstandsvorsitzender fordert einen Perspektivwechsel in der digitalpolitischen Debatte: Der Umgang mit digitalen Technologien müsse zugleich pragmatischer und strategischer werden. Was fehle, sei ein visionärer Masterplan – am besten entworfen durch ein Digitalministerium.
Im Rückblick auf die vergangene Dekade fällt auf, dass unser Umgang mit der digitalen Transformation primär von Technikpessimismus und konfusem Aktionismus digitalpolitischer Gesetzgebungsinitiativen geprägt war. Das gilt für Deutschland, genauso wie für ganz Europa. Der Beginn eines neuen Jahrzehnts scheint mir daher geeignet, eine Trendwende in Bezug auf unseren Umgang und unsere Perspektiven in Sachen Digitalisierung zu fordern. Meine These lautet: Digitalisierung wird nur gelingen, wenn wir sie mit Verantwortung vorantreiben.
Verantwortungsvolle Digitalisierung manifestiert sich aus meiner Sicht auf drei
Ebenen:
Erstens, einer Regulierung mit Augenmaß, die rechtliche Rahmenbedingungen formuliert und zugleich persönliche Grundrechte schützt, ohne unternehmerische Innovationskraft oder innovative Geschäftsmodelle zu blockieren. Ein wichtiger Grundsatz sollte hierbei sein, dass die Rechtsdurchsetzung auch im Onlinebereich stets beim Staat liegt und die Verantwortung niemals nur auf Internetunternehmen
abgewälzt werden darf. Die Ende 2019 bekannt gewordenen Pläne zur Bekämpfung von Hasskriminalität und damit verbunden die Novellierung des umstrittenen NetzDG sind – ebenso wie die Vorratsdatenspeicherung oder Staatstrojaner – leider kein gelungenes Beispiel für eine konstruktive Digitalpolitik.
Zweitens, die Befähigung zu souveränem digitalem Handeln. Das bedeutet in erster Linie ein modernisiertes funktionierendes Bildungs- und Weiterbildungssystem, das Lernenden, aber auch Arbeitnehmern aller Altersklassen, digitale Grundkenntnisse und Kompetenzen für einen mündigen und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Technologien vermittelt. Auch auf Ebene der digitalen Infrastrukturen selbst muss souveränes digitales Handeln möglich sein. Daher ist es richtig und wichtig, dass Initiativen wie GAIA-X Rechenzentrenbetreiber und Cloudinfrastrukturanbieter künftig in Europa mehr Sichtbarkeit und eine stärkere Position im internationalen Wettbewerb verleihen.
Drittens, brauchen wir einen lösungsorientierten und smarten Einsatz digitaler Technologien, der sich an ethischen und nachhaltigen Grundwerten orientiert. Es geht nicht darum, Digitalisierung für alles einzusetzen, was technisch machbar
wäre, vielmehr sollten Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft stärker als bisher zusammenarbeiten bei der Frage, wie wir mit digitalen Technologien die
drängenden Herausforderungen unserer Zeit lösen können. Ein Beispiel ist die Bekämpfung der Energie- und Klimakrise. Anstatt darüber zu philosophieren, ob Streamingscham die neue Flugscham ist, sollten wir lieber nach Wegen suchen, wie wir die Innovationspotenziale der Digitalisierung besser nutzen können um Emissionen zu reduzieren. Sei es durch digital-vernetzte Fahrzeuge, smarte Verkehrssteuerung in Städten, dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Produktion und Logistik oder auch die sinnvolle Nutzung der Abwärme von Rechenzentren durch den Anschluss an Nah- oder Fernwärmenetze. Es ist Aufgabe der Politik – idealerweise eines Digitalministeriums – hierfür gemeinsam mit den Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft einen visionären und ressortübergreifenden Masterplan zu entwickeln und dann auch konsequent voranzutreiben.
Klar ist aber auch: Neben den visionären Forderungen für eine Digitale Dekade werden viele der Themen, die uns in 2019 beschäftigt haben, auch in 2020 aktuell
bleiben, wie die folgenden drei Beispiel zeigen: Der lang ersehnte Roll-out von 5G wird für Unternehmen und Anwender einen signifikanten Innovationsschub, beispielsweise in den Bereichen IoT und Mobilität bedeuten. Aber 5G benötigt ein flächendeckend verfügbares Breitbandinternet und zahlreiche neue Funkmasten zur bestmöglichen Verbreitung dieser Technologie. Hier gilt es den Rückstand der letzten Jahre in Deutschland schleunigst aufzuholen. Politik und Medien müssen fiktive und politisch geführte Debatten über die Sicherheitsanforderungen oder Vertrauenswürdigkeit von einzelnen Netzausstattern auf eine sachliche, faktenbasierte Grundlage zurückbringen.
Selbstverständlich wird das Thema Daten sowie die damit verbundenen Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit und Datenverfügbarkeit weiter ganz oben auf der digitalen Agenda in 2020 stehen. Die Europäische Kommission wird bis Mai 2020 einen Bericht über die Bewertung und Überprüfung der 2018 in Kraft getretenen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vorlegen. Interessant wird in diesem Zusammenhang auch, ob und wann die E-Privacy-Verordnung verabschiedet und wie diese gegebenenfalls aussehen wird. Die Verhandlungen im EU-Ministerrat zum Entwurf einer E-Privacy-Verordnung waren Ende 2019 gescheitert. Kritisiert wurde, dass die E-Privacy-Verordnung für elektronische Medien und Dienste eine zur DSGVO parallele, teils inkompatible Datenschutzgesetzgebung etablieren und so für viel Rechtsunsicherheit in der digitalen Wirtschaft führen könnte. Der Appell an die EU-Institutionen kann hier nur weiterhin lauten, sich für eine ausbalancierte, wettbewerbs- und innovationsgerechte sowie praxistaugliche Regulierung einzusetzen.
Genau beobachten wird die Branche schließlich den digitalpolitischen Aufschlag der neuen EU-Kommission. Es bleibt abzuwarten, ob Ursula von der Leyen wie angekündigt, schon in den ersten 100 Tagen Maßnahmen zur KI-Regulierung auf den Weg bringt. Zudem möchte die Kommissionspräsidentin – in Zusammenarbeit mit ihrer Digital-Kommissarin Margrethe Vestager – große
Digitalunternehmenbesteuern, die E-Commerce-Richtlinie erneuern sowie eine „Cyber-Unit“ etablieren, um den Informationsaustausch in der EU zu beschleunigen. Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland zudem den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft. Man darf also gespannt sein, ob es uns auf EU-Ebene eher gelingt, eine planvolle und strategische Digitalpolitik
aufzusetzen, als dies auf Bundesebene bislang leider der Fall ist.
Fazit: Digitale Technologien bieten unzählige Möglichkeiten und Innovationspotentiale. Bislang nutzen wir nur einen Bruchteil dieser Möglichkeiten. Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft müssen mehr gemeinsame
digitale Verantwortung übernehmen. Nur so kann die digitale Transformation zum Erfolg und Nutzen aller führen.
eco feiert in 2020 sein 25-jähriges Jubiläum unter dem Motto „25 Jahre Netz mit Verantwortung“.