Thomas Rickert über die Arbeit der CCWG Accountability
Dieses Interview erschien am 23. März 2016 auf domain-recht.de – Das Domain-Blog. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung von RA Florian Hitzelberger und RA Daniel Dingeldey <http://www.domain-recht.de>
Der Bonner Rechtsanwalt Thomas Rickert ist Director Names & Numbers im eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. und Co-Chair der „Cross Community Working Group on Enhancing ICANN Accountability“ (CCWG). Nach knapp zwei Jahren Arbeit, mehr als 200 Treffen und rund 14.000 E-Mails hat die CCWG anlässlich des 55. ICANN-Meetings in Marrakesch vor wenigen Tagen einen Vorschlag präsentiert, der unter dem Stichwort „IANA-Transition“ das Modell der Netzverwaltung revolutionieren soll.
Herzlichen Glückwunsch zu diesem Erfolg, der von ICANN als „Meilenstein“ bezeichnet wird. Aber mal ehrlich: betrifft die IANA-Transition uns Internetnutzer überhaupt? Warum ist die IANA-Transition denn notwendig? Man könnte doch einfach alles beim Alten lassen, getreu dem Motto „never change a running system“.
In der Praxis soll der Nutzer von der IANA-Stewardship Transition genauso wenig mitbekommen wir bisher. Nämlich gar nichts. Das Internet oder besser das Domain Name System (DNS) soll einfach funktionieren.
Schauen wir uns aber doch zum leichteren Verständnis der Bedeutung einmal die Geschichte an. Als die Clinton-Administration seinerzeit ICANN mit aus der Taufe hob, sollte die US-Regierung die Aufsicht über die IANA-Funktionen nur für eine kurze Übergangszeit wahrnehmen, da man dieses neue Multi Stakeholdermodell erst einmal ein wenig anschauen wollte, bevor man den Betrieb einer kritischen Ressource in die Unabhängigkeit entlässt. Für die Bush-Administrationen war allerdings die Aufgabe der Kontrolle über die IANA – ich will mal sagen – keine Priorität. Als sich dann im Zuge der Snowden Enthüllungen einige Regierungen aus dem globalen Internet „ausklinken wollten“, holte die Obama Administration zu einem Befreiungsschlag aus und bot die Aufgabe ihrer Aufsicht an, wenn die globale Community einen geeigneten Vorschlag unterbreitet, wie auch nach dem Rückzug der US-Regierung etwa die Sicherheit und Stabilität des DNS gewährleistet bleibt, die Offenheit des Internets gewahrt bleibt und verhindert wird, dass einzelne oder mehre Regierungen die Kontrolle übernehmen. Der Lösung der IANA Funktionen von der US-Regierung kommt insofern eine enorme symbolische und politische Bedeutung zu.
„Fundamental Bylaws“ oder „Supporting Organizations and Advisory Committees“ – wenn man sich durch die ICANN-Website klickt und die zahllosen Dokumente zur IANA-Transition liest, wirkt das oft verwirrend und intransparent. Können Sie uns erklären, wer das Netz künftig regiert und wie dieses Modell praktisch funktioniert?
Bisher hat die US-Regierung recht still im Hintergrund agiert und bezüglich des Rootzone-Managements eine praktisch lediglich notarielle Funktion ausgeübt, wenn es um die Delegation oder Redelegation von Top-Level Domains ging. Die US-Regierung hatte aber stets die Macht, den Betrieb der IANA-Funktionen der ICANN wegzunehmen, wenn die Organisation „aus dem Ruder läuft“, etwa wegen korrupter Direktoren oder ähnlichem. Wir haben nun ein Konzept entwickelt, um diese Funktion der US-Regierung aufzufangen und die Antwort ist, dass wir das Recht, insbesondere das Direktorium zur Ordnung zu rufen, der ICANN Community geben. Bisher konnte etwa die Community keine Direktoren entlassen. Das haben wir geändert, so dass nun die ICANN-Community in einem stark formalisierten Prozess bestimmte Rechte ausüben kann. Sie kann Vorstandsentscheidungen durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit überprüfen lassen, wenn der Verdacht besteht, dass sich das Direktorium mit einer Entscheidung die Statuen ICANNs verletzt hat. Auch können einzelne Direktoren oder das gesamte Board entlassen werden, Einfluss auf Satzungsänderungen und das Budget sowie strategische Planungen genommen werden.
Ausgeübt werden können diese Rechte durch die so genannte Empowered Community, wie wir sie getauft haben. Die besteht aus den Supporting Organizations und Advisory Committees bei ICANN, also der Generic Names Supporting Organization (GNSO), der Country Code Names Supporting Organization (ccNSO), der Address Supporting Organization (ASO), dem At Large Advisory Committee (ALAC) und dem Governmental Advisory Committee (GAC). Hinter diesen Bezeichnungen verbergen sich unterschiedlichste Interessengruppen, von Regierungen über den akademischen Sektor bis hin zu verschiedenen Industriekreisen und Nutzervertretungen. Jeder kann hier eine Heimat finden und sich einbringen.
Wer steckt hinter der CCWG, und was war Ihre Aufgabe innerhalb der CCWG?
Wir haben in der CCWG an Vorschlägen zur Verbesserung der „Accountability“ bei ICANN erarbeitet. Dazu haben andere Gruppen an Vorschlägen für die technischen Funktionen (Protokoll Parameter, IP-Adressen und Names) gearbeitet. In unserer Gruppe haben etwa 200 Personen aus allen Community-Teilen bei ICANN mitgearbeitet. Gemeinsam mit meinen Kollegen Mathieu Weill und León Sanchez war ich für die Projektleitung zuständig. Projektziel war die Erstellung eines konsensfähigen Vorschlages, der von der gesamten Community getragen wurde. Wenn man berücksichtigt, wir unterschiedlich und teils gegensätzlich die Interessen der einzelnen Vertreter waren, kann man leicht ermessen, dass dies keine einfache Aufgabe war.
Wie muss man sich die praktische Arbeit der CCWG vorstellen?
Die Arbeit fand abgesehen von verschiedenen Präsenzmeetings telefonisch und auf Mailinglisten statt. Wir haben verschiedene Subkommittees und verantwortliche Berichterstatter eingesetzt. Zudem wurden wir unterstützt von etwa fünf ICANN-Mitarbeitern und zwei spezialisierten US-Kanzleien. Die Telefonkonferenzen (in der Regel zwei Stunden pro Woche, vor Abgabeterminen wesentlich mehr) wurden hinsichtlich der Anfangszeiten rotiert, damit jeder einmal unpassende Zeiten zum Telefonieren hat. Wir nutzen dort virtuelle Meeting-Software, die neben Sprachtelefonie auch das Zeigen von Unterlagen, eine Chatfunktion, Live-Protokollerstellung und auch das Verwalten von Wortmeldungen erlaubt. Das vereinfacht die Zusammenarbeit bei derartigen Gruppengrößen enorm. Alle Telefonate wurden aufgezeichnet und transkribiert, so dass jeder den Prozess nachvollziehen kann. Wir haben unsere Zwischenberichte zur Kommentierung veröffentlicht und so bestmöglich sichergestellt, dass alle Wünsche der Community Berücksichtigung finden.
Was sind für Sie die wichtigsten Regelungen im CCWG-Vorschlag? Wo bestand der meiste Reformbedarf, und wo gab es die meisten Diskussionen?
Neben den eben genannten Möglichkeiten der Community, Direktoren zu entlassen, Einfluss auf Budget, Strategischen Plan und Satzungsänderungen zu nehmen, ist die Überarbeitung der unabhängigen Gerichtsbarkeit zu nennen. Es gibt zwar bereits jetzt einen Independent Review Prozess, der allerdings nur die Beobachtung prozeduraler Aspekte berücksichtigt. Das führte in der Vergangenheit zu Situationen, dass die Prüfer zwar feststellten, dass die Entscheidung des Direktoriums falsch war, aber nichts unternommen werden konnten, da es keine Verletzungen des vorgegebenen Prozesses gab. Künftig werden sich beschwerte Parteien auch der Sache nach gegen Vorstandsentscheidungen wenden können, die aus ihrer Sicht in Verletzung der Statuten ICANNs ergangen sind. Besonders viel Diskussion gab es um die Rolle des Regierungsbeirats GAC (Governmental Advisory Committee). Während einige Regierungen enttäuscht sind, da aus ihrer Sicht die Möglichkeiten der Einflussnahme nicht stark genug sind, geht anderen die im Abschlussbericht niedergelegte Gestaltung bereits zu weit. Da alle gleichermaßen unzufrieden scheinen, dürften wir einen passenden Kompromiss gefunden haben.
Können Sie uns erklären, was sich für ICANN ändert und welche Aufgaben nun konkret auf ICANN zukommen, sollte der Vorschlag umgesetzt werden?
Derzeit werden die Statuten, also die Satzung ICANNs stark überarbeitet, um die Reformen einzuarbeiten. Wenn alles gut geht, dann wird alleine die Existenz der Rechte für die Community ausreichen, damit es nie zum Ernstfall kommt. Wir haben zudem Sorge dafür getragen, dass in allen wichtigen Belangen zwingend ein Dialog zwischen Board und Community stattfinden muss. Damit soll das Risiko minimiert werden, dass es etwa hinsichtlich des Budgets erst nach einer Vorstandsentscheidung zu Problemen kommt. Ansonsten ist unsere Arbeit noch nicht vorbei. Wir arbeiten in einem zweiten Arbeitsstrang an Themen wie Menschenrechten, Transparenz der Organisation und Diversität. ICANN wird sich dadurch als Organisation kontinuierlich verbessern.
Wäre es im Interesse eines funktionierenden Internets nicht sinnvoller gewesen, die rein technischen IANA-Funktionen von den verwaltenden, wirtschaftlichen oder politischen Funktionen ICANNs strikt zu trennen?
Leider nein. Gerade, weil es um ein stabiles und funktionierendes Internet geht, musste eine Accountability Reform her. ICANN ist zu wichtig, als dass man sich hier auf Experimente einlassen könnte. Oft wurde bei unseren Diskussionen das Beispiel gebracht, dass verhindert werden muss, dass aus ICANN eine Art Fifa wird. Wir haben insofern für unsere Reformvorschläge mehr als 30 Stress-Tests entwickelt um zu prüfen, ob die Organisation gegen alle denkbaren Risiken von innen und außen gewappnet ist. Stellen Sie sich vor, dass die Rootzonen-Verwaltung in die falschen Hände geriete.
Das GAC und mit ihm einzelne Länder wie Brasilien und Peru drohten bis zuletzt, den CCWG-Vorschlag zu blockieren. Woran hat man sich konkret gestört? Ist nach Ihrer Einschätzung mit weiteren Blockaden bzw. Blockadeversuchen des GAC oder einzelner Länder zu rechnen?
Zu den unterschiedlichen Sichtweisen auf die Rolle der Regierungen hatte ich bereits etwas gesagt. Ich gehe nicht davon aus, dass es jetzt noch Probleme geben wird. Das GAC hat uns autorisiert, unseren Bericht abzusenden. Eine Blockade gab es nicht. Unzufriedenheit schon.
War auch die Bundesregierung an den Gesprächen beteiligt, oder hat sie sonst Einfluss auf das künftige Modell der Netzverwaltung genommen? Deckt sich der CCWG-Vorschlag mit den Vorstellungen der Bundesregierung?
Die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung dürfte viele Kollegen aus anderen Ländern neidisch werden lassen. Die Bundesregierung lädt regelmäßig vor ICANN-Meetings zur Information und Diskussion ein. Dort war die IANA Stewardship Transition mehrfach Thema. eco hat verschiedene Veranstaltungen zum Thema mit Beteiligung des Wirtschaftsministeriums durchgeführt und wir haben mit verschiedenen Stakeholdern aus Deutschland bereits sehr früh eine gemeinsame Stellungnahme mit der Bundesregierung veröffentlicht. Das gab es in der Form nirgendwo sonst. Ich kann nicht für die Bundesregierung sprechen, gehe aber davon aus, dass zumindest in weiten Teilen unser Bericht auf Zustimmung stößt. Das Schöne an konsensbasiertem Arbeiten ist, dass eigentlich niemand alles bekommt und alle aufeinander zugehen müssen.
Welche Hürden muss der Vorschlag für die IANA-Transition nun im nächsten Schritt nehmen und was kann noch schief gehen? Gibt es insoweit einen Zeitplan?
Unser Vorschlag liegt nun zur Prüfung bei der NTIA, der zuständigen Behörde. Die Prüfung dort muss positiv ausfallen. Auch muss die überarbeitete Satzung schnell fertig werden, damit etwa Mitte Juni das gesamte Paket von der NTIA an den US-Kongress übermittelt werden kann. Wenn das klappt und es von dort keine Probleme gibt, dann kann der Vertrag zwischen ICANN und NTIA Ende September auslaufen.
Gehen Sie davon aus, dass sich der Vorschlag der CCWG – zumindest im Kern – durchsetzt?
Ja. Wir haben einen Vorschlag gemacht, der steht. Seitens ICANN würde im Fall der Zustimmung der US Regierung alles wie vorgeschlagen umgesetzt. Ob es noch Änderungsverlangen von der US-Regierung geben wird, kann ich nicht beurteilen.
Könnte sich der derzeitige Wahlkampf um das Amt des US-Präsidenten auf die IANA-Transition auswirken?
Das ist durchaus möglich. Ich möchte aber nicht dazu spekulieren. Die Einhaltung des eben erwähnten Zeitplans ist für den Projekterfolg sicherlich nicht abträglich.
Wenn Sie auf die intensive Arbeit in der CCWG zurückblicken: Gibt es aus Ihrer ganz persönlichen Sicht etwas, das öffentlich bisher kaum oder nicht beachtet geblieben ist?
Die Community ist enger zusammengerückt. So man sich früher allenfalls böse Briefe über den Zaun geworfen hat, sind nun durch die intensive Zusammenarbeit der Vertreter aller Lager persönliche Kontakt, Vertrauen und teils Freundschaften entstanden. Beim ICANN-Meeting in Marrakesch hat beispielsweise der Regierungsbeirat erstmals in ICANNs Geschichte sein Kommuniqué nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt. Egal wie die US-Regierung entscheidet – die globale Community hat in einem beispiellosen Kraftakt bewiesen, dass das Multi-Stakeholder-Modell funktioniert.
Herr Rickert, wir danken Ihnen sehr für das Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg.