Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Saskia Steinacker: Global Head of Digital Transformation bei Bayer.
Seit 2017 leiten Sie den Bereich Digital Transformation bei Bayer. Seit 2004 sind Sie im Konzern tätig und haben dort eine beeindruckende Karriere hingelegt: über Leitungspositionen im digitalen Marketing und der IT zur digitalen Transformation. Zudem gehören Sie der Expertengruppe der Europäischen Kommission für Künstliche Intelligenz an. Wie haben Sie das erreicht?
Steinacker: Digitalisierung ist ein Querschnittsthema. Deshalb ist es vorteilhaft, sehr unterschiedliche Positionen im Konzern gehabt zu haben. Grundsätzlich ging es mir immer darum, im Business bessere Lösungen für den Kunden zu erarbeiten. Und dafür braucht es natürlich IT. Mir hat es geholfen, dass ich ein persönliches Faible für Themen wie Programmierung und Technologie habe – da bin ich wohl ein Geek. Der technologische Wandel betrifft inzwischen alles Lebensbereiche. Damit einher geht mehr Verantwortung. Wir brauchen die gesamtgesellschaftliche Debatte über Digitalisierung – und daran will sich sowohl Bayer als auch ich mich persönlich beteiligen. Deshalb habe ich die Chance genutzt, Teil der Expertengruppe der EU für Künstliche Intelligenz zu sein.
Wie transformiert man einen Weltmarktführer im Life-Science-Bereich wie Bayer? Und wie gelingt es bei der Umsetzung alle mitzunehmen?
Steinacker: Sicher nicht im Alleingang. Es braucht zwei Ansatzpunkte: Unterstützung von der Spitze des Unternehmens. Bei Bayer haben wir unser Digital Transformation Board, in dem vier Vorstandsmitglieder vertreten sind, unser Chief Information Officer sowie die Verantwortlichen für IT und Digitale Transformation der Divisionen. Zudem brauchen Sie eine möglichst breite Basis von digitalen Enthusiasten, die bereit sind, voranzugehen und digitale Projekte auszuprobieren. Ganz wichtig ist außerdem, die digitale Transformation eng mit dem Business zu verbinden. Digitalisierung hat keinen Selbstzweck, sondern muss das Geschäft unterstützen. Bei Bayer geht es darum, eine rasant wachsende und alternde Bevölkerung nachhaltig zu ernähren und gesund zu halten und Krankheiten wie Krebs zu bekämpfen. Dabei können uns digitale Lösungen helfen. Sie sollten Technologie nicht einführen, weil Sie diese irgendwie fancy finden und dann tolle Piloten machen. Das geht schief.
Um die digitale Transformation von Unternehmen zu beschleunigen, braucht es ein Transformationsprogramm, bei uns ist das die Digitale Agenda: Vom Erlernen neuer Fähigkeiten über die bessere Nutzung von Daten, neue Plattformen und digitale Lösungen bis zu Partnerschaften mit innovativen Startups. Ein ganz wichtiger Punkt der Digitalen Agenda ist der Kulturwandel, der unter anderem mehr Kundenorientierung, agilere Methoden, Zusammenarbeit und Experimentierfreudigkeit umfasst. Dazu gehört auch Mut, Dinge auszuprobieren.
Jedes Unternehmen muss sich digital transformieren. Was sind aus Ihrer Erfahrung die größten Hemmnisse im Prozess der digitalen Transformation? Und wie gelingt es, sie zu beseitigen?
Steinacker: Die größte Gefahr ist, dass die Digitalisierung runterpriorisiert wird. Eine echte Transformation ist so nicht möglich. Unternehmen brauchen deshalb auf Management-Ebene eine gute Balance zwischen Tagesgeschäft und Zukunftsgeschäft. Denn das Potential von digitalen Projekten oder neuen Geschäftsmodellen zeigt sich naturgemäß erst in der Zukunft. Es ist wichtig, dass das Top-Management der Digitalisierung die Bedeutung einräumt, die sie verdient. Sonst kommt die Veränderung des eigenen Geschäfts von außen: Schauen Sie, was Amazon mit dem Handel gemacht hat oder Airbnb mit der Hotelbranche.
Sie sind Teil der Expertengruppen der Europäischen Kommission zum Thema Künstliche Intelligenz. Mit Ihrer Erfahrung: Warum brauchen wir ethische Leitlinien für den Einsatz künstlicher Intelligenz? Und wie sollten diese aus Ihrer Sicht aussehen?
Steinacker: Künstliche Intelligenz ist eine Technologie, die sowohl positiv als auch negativ eingesetzt werden kann. Es gibt zu Recht Vorbehalte und Ängste. Der Verlust von Autonomie der Menschen zu Gunsten von Maschinen, die Einschränkung des Datenschutzes, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt: All das sind reale Gefahren. Wir brauchen also Leitlinien, um diese Angst zu nehmen und die Akzeptanz von digitalen Technologien wie künstlicher Intelligenz in der Bevölkerung zu erreichen. Deshalb engagiere ich mich in der Expertengruppe. Auf der anderen Seite müssen wir aber aufpassen, dass wir die Rahmenbedingungen in der EU nicht so gestalten, dass der technische Fortschritt außerhalb Europas stattfindet. Die richtige Balance ist wichtig. Ich bin überzeugt, dass Europa Vorreiter bei der Entwicklung eines ethischen Rahmens für den Einsatz künstlicher Intelligenz sein kann. Das Thema wird inzwischen übrigens auch in den USA und Asien diskutiert. In Europa sind wir jetzt so weit, dass wir die Leitlinien in der Realität testen können. Unternehmen können ausprobieren, was es bedeutet, wenn KI-Anwendungen vertrauenswürdig sein sollen. Dazu haben wir eine so genannte Assessement-Liste erstellt. Diese Testphase läuft bis Ende des Jahres. Bayer beteiligt sich natürlich auch.
Künstliche Intelligenz kann Brustkrebs in Mammographie-Aufnahmen erkennen. Digitale Biomarker revolutionieren die Diagnose und Behandlung von Patienten. Wenn Sie mit Ihrer Expertise einen Blick in die Zukunft werfen: Auf welche Herausforderungen im medizinisch-pharmazeutischen Bereich wird die Digitalisierung in naher Zukunft eine Antwort finden?
Steinacker: Wir arbeiten derzeit vor allem an drei Gebieten, in denen die Digitalisierung den Gesundheitsbereich revolutionieren kann: die Früherkennung von Krankheiten, die Präzisionsmedizin und die deutlich schnellere Entwicklung von Medikamenten. Für die bessere Diagnose von Krankheiten entwickeln wir beispielsweise eine Software, die dabei unterstützen kann, Muster der seltenen Lungenkrankheit CTEPH zu erkennen. Bei der Präzisionsmedizin geht es darum, auf den Patienten persönlich angepasste Behandlungen zu entwickeln. So gibt es etwa Krebserkrankungen, die auf einer speziellen Genmutation beruhen der NTRK Genfusion. Dafür gibt es spezielle Behandlungsmethoden, deshalb ist es so wichtig, die konkrete Ursache der Krankheit zu identifizieren. Dafür entwickeln wir einen Algorithmus. Und schließlich die schnellere und effizientere Entwicklung von Medikamenten: Das dauert heute mehr als zehn Jahre, kann eine Milliarde Euro kosten und weniger als ein Prozent der Entwicklungen sind tatsächlich erfolgreich. Auch hier kann die Digitalisierung helfen. Etwa indem wir Experimente digital realisieren. Gemeinsam mit dem ungarischen Startup Turbine entwickeln wir beispielsweise eine Softwarelösung, die simuliert, wie sich Krebszellen verhalten und wie sie auf Wirkstoffe reagieren.
Welches Projekt im Zuge der digitalen Transformation bei Bayer hat Sie persönlich nachhaltig am meisten beeindruckt und warum?
Steinacker: Bei Bayer haben wir die Digital Innovation Awards, mit denen wir Digitalisierungsprojekte und die Teams dahinter in den Vordergrund rücken. Die Begeisterung der Kolleginnen und Kollegen für ihre Projekte ist ansteckend. Ich denke beispielsweise an ein Team in Indien, das in der Saatgutproduktion für Reis erstmals Drohnen für die Bestäubung eingesetzt hat. Die Leute brennen für das Projekt, weil sie nicht nur den indischen Farmern mehr Einnahmen sichern, sondern weil sie wissen, dass sie damit einen Beitrag für den Kampf gegen den Hunger leisten können.
Vielen herzlichen Dank für das Interview, Frau Steinacker.
Diskutieren Sie mit führenden Köpfen der Digitalbranche wie Saskia Steinacker beim eco://kongress 2019
Zu unserer Interview-Reihe #LiT Ladies in Tech mit Saskia Steinacker