23.11.2016

November: Staatliche Überwachung im Internet

Die voranschreitende Digitalisierung bietet unendliche Chancen für unsere Gesellschaft, verändert aber auch unser Verhältnis zur Privatsphäre und zum Datenschutz unwiderruflich. Fast rund um die Uhr sind wir heute vernetzt und das Internet hat für die meisten Menschen eine zentrale Rolle eingenommen – viele Aspekte unseres Lebens werden in unterschiedlicher Form digitalen Medien anvertraut.

Gleichzeitig ist das Vertrauen in digitale Dienste, insbesondere durch die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden nachhaltig erschüttert worden. Den Bürgern wurde das Gefühl vermittelt, dass Behörden selbst in sicher geglaubte Kommunikationsdienste eingreifen können und dies auch – mehr oder weniger anlasslos – tun.

Um das Vertrauen der Nutzer in digitale Dienste zurückzugewinnen und langfristig zu stärken, sollten die Befugnisse der Geheimdienste eingeschränkt werden. Auch wenn das öffentliche Bedürfnis nach Sicherheit und die Ausweitung von polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittlungskompetenzen in Zeiten terroristischer Bedrohung nachvollziehbar ist: Die systematische Überwachung und anlasslose Kontrolle der elektronischen Kommunikation von Privatpersonen und Unternehmen durch staatliche Stellen – wie mit der Reform des BND-Gesetzes geplant – ist abzulehnen. Alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen und zu überwachen, widerspricht dem Wesen und den Werten einer demokratischen Gesellschaft.

Das wohl unpopulärste netzpolitische Vorhaben der letzten Jahre, ist darum wohl auch das im Dezember 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung. Neben der Verletzung von Bürgerrechten greift das Instrument auch unverhältnismäßig in die grundrechtlich garantierten Freiheiten der Unternehmen ein. Viele rechtliche Fragen und Auflagen für die Internetwirtschaft sind nach wie vor heftig umstritten und bleiben ungeklärt.

5 Fragen

Klaus Landefeld, eco-Vorstand Infrastruktur und Netze – beantwortet fünf Fragen zum digitalpolitischen Thema des Monats: Staatliche Überwachung im Internet.

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1.) Herr Landefeld, welche Bedeutung haben Grundprinzipien wie Freiheit und Offenheit für das Internet?

Wir reklamieren für uns, in einer freiheitlichen Grundordnung zu leben, in der Privatheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, der Unterlass von Zensur und ähnliche Grundrechte als selbstverständlich gelten.

Diese Grundsätze sollten auch für das Internet als Kommunikationsmedium gelten: Die Sicherung des offenen Internets, dient der Informations- und Meinungsfreiheit und garantiert Vielfalt hinsichtlich aller gesellschaftlichen Belange.

2.) Sollte der Staat aus Ihrer Sicht gar keinen Zugriff auf persönliche Daten im Netz haben?

Es ist weniger die Frage des „ob“ als vielmehr eine Frage der Voraussetzungen. Wenn gegen einen potentiellen Straftäter Ermittlungen geführt werden, ist eine Einschränkung der Grundrechte gesetzlich geregelt – beispielsweise ist die Unverletzlichkeit der Wohnung, im Rahmen einer Hausdurchsuchung auf richterliche Anordnung beschränkt. Ähnliches kann und muss es auch in der digitalen Welt geben. Das steht außer Frage.

Offen ist aber, welche Voraussetzungen für derartige Zugriffe in der digitalen Welt gelten sollten? Die Strafverfolgungsbehörden und die Dienste überbieten sich derzeit – auch international – in ihren Forderungen. Dabei ist nicht ersichtlich, warum für Zugriffe in der digitalen Welt andere, geringere Anforderungen gelten sollten.

3.) Die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung argumentieren, dass durch die Speicherpflicht, Straftaten auch besser nach der Tat aufgeklärt werden könnten. Vor allem im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, aber auch gegen den Terrorismus. Wieso lehnt eco die Vorratsdatenspeicherung ab?

Für diese Behauptung gibt es bislang keine Belege: In keinem der Länder, in dem die Vorratsdatenspeicherung existiert, konnte hierdurch eine Verbesserung der Aufklärungsquote erreicht werden. Sie ist ein reines Scheinargument.

Gleichzeitig kehrt die Vorratsdatenspeicherung eines der fundamentalsten Grundprinzipien unserer Rechtsordnung um – jedermann steht unter Generalverdacht und muss die Aufzeichnung seiner Verbindungsdaten in Kauf nehmen, unabhängig davon, ob man sich etwas zu Schulden hat kommen lassen oder nicht.

Die Privatheit der Kommunikation ist ein Grundrecht, welches in Art. 10 GG geregelt ist. Die Verbindungsdaten unterliegen dort demselben Schutz wie die Inhalte der Kommunikation selbst. Der Ansatz, das komplette Kommunikationsumfeld aller Bürger zu erfassen und transparent zu machen, verletzt die Rechte des Einzelnen massiv.

Darüber hinaus sind immense Investitionen in Millionenhöhe für die Internetprovider nötig, um überhaupt die technischen Voraussetzungen für die umfassende Datenspeicherung zu schaffen: Für kleinere und mittlere Betriebe wären die vorgesehenen Regeln existenzgefährdend.

Dieses Vorhaben kann dem Staat nicht unwidersprochen zugestanden werden.

4.) Auch die geplante Reform des BND-Gesetzes hat eco stark kritisiert. Mit dem Gesetz soll eine gesetzliche Grundlage zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung für den Bundesnachrichtendienst geschaffen- und bestehende rechtliche Grauzonen in der gängigen Praxis der Fernmeldeaufklärung durch den Bundesnachrichtendienst beseitigt werden. Was sind ihre Kritikpunkte am Gesetzentwurf?

Wir sind der Meinung, dass das Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung eine gefährliche Ermächtigungsgrundlage zur Erfassung nahezu beliebiger Kommunikationsdaten im Inland darstellt, welche verfassungsrechtlich nicht zulässig ist.

Im Zeitalter paketorientierter Kommunikation ist eine Trennung der Verkehre nicht möglich. Die Erfassung von Daten im Inland, durch den Auslandsgeheimdienst, führt immer zu einer umfangreichen, systematischen Verletzung von Grundrechten. Der einzige überhaupt vorgesehene Grundrechtsschutz, soll durch ein Filtersystem gewährleistet werden, das bereits heute als fehlerhaft und ungeeignet gilt. Gleichzeitig wird jede Beschränkung des Umfangs der Datenerhebung abgeschafft und ein umfassender, anlassloser Zugang zu persönlichen Daten ermöglicht – der durch das Grundgesetz gar nicht gedeckt ist. Kritische Fragen wie die Reichweite des Grundrechtsschutzes auch für Ausländer, stellen sich schon beim bisherigen G10-Gesetz und werden auch jetzt komplett ignoriert. Zudem gibt es keine wirksame Kontrolle der geplanten Maßnahmen: Die im Nachhinein vorgesehene Kontrolle durch ein neues, unabhängiges Gremium geht vollständig ins Leere und betrifft nicht einmal den Umfang oder die konkreten Maßnahmen der Datenerfassung.

5.) Ein Blick in die Zukunft: Glauben Sie, dass im Jahr 2030 jeder Bürger gläsern ist, wenn er sich durch das Internet bewegt?

Sicherlich wird der einzelne Bürger mit der Zeit transparenter werden, digitale Assistenzsysteme und die zunehmende Digitalisierung des Alltags werden ihr Übriges dazu tun. Die elementare Frage wird dann sein, wie mit den Daten der Bürger umzugehen ist und wo die Privatheit des Einzelnen, die digitale Selbstbestimmung und Souveränität beginnt – sowohl gegenüber dem Staat als auch in der Nutzung dieser Daten durch Unternehmen.

eco Umfrage: Öffentliche Meinung zu staatlicher Überwachung im Internet

61 Prozent der Deutschen halten ihre persönlichen Daten im Internet vor dem Zugriff durch Geheimdienste für nicht ausreichend geschützt. Dies ergibt eine repräsentative Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Auftrag von eco ­ Verband der Internetwirtschaft e. V. im November 2016 durchgeführt hat. Staatliche Überwachung im Internet durch Geheimdienste beurteilen die Befragten somit mit großer Skepsis. 47 Prozent der Befragten ist der Ansicht, dem Bundesnachrichtendienst (BND) sollte der Zugriff auf Daten nur in begründeten Fällen gestattet sein. 12 Prozent lehnen die Zugriffsmöglichkeiten des BND auf personenbezogene Daten generell ab.

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