Anja Elsing, Geschäftsführerin der regiodot GmbH & Co. KG, über ein Jahr .ruhr
Im Dezember 2013 wurde .ruhr als erste deutsche Domain-Endung seit der Einführung von .de im Jahr 1986 in den Rootserver eingetragen und ging als weltweit erste neue Domain-Endung mit regionalem Bezug an den Start. Damit schrieb das Ruhrgebiet ein Stück Internet-Geschichte.
.ruhr stärkt die Metropole und den Ausdruck lokaler Identität, schafft ein Bewusstsein für ein starkes Stück Deutschland und schenkt den 53 Städten, ihren 5,2 Millionen Einwohnern sowie 160.500 Unternehmen des Ruhrgebiets eine Heimat im Internet.
Lars Steffen: Ein Jahr neue gTLDs, über 300 neue Top-Level-Domains sind bereits auf dem Markt. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand des „new gTLD Program“?
Anja Elsing: Wir sind erst ein Jahr am Markt und stellen fest, dass die neuen Domain-Endungen insgesamt noch recht unbekannt sind und Zeit brauchen, um sich am Markt zu etablieren. Viele Nutzer haben davon noch nichts gehört und kennen nur die etablierten Endungen wie beispielsweise .de oder .com. Es ist eine Herausforderung, das sehr lange nur in Expertenkreisen bekannte Thema der neuen Top-Level-Domains in der Bevölkerung verständlich darzustellen und diese für die neu entstehenden Potenziale der .ruhr-Endung zu sensibilisieren.
Umso mehr freuen wir uns, dass bereits viele Portale mit unique content unter .ruhr online gegangen sind. Immer mehr Unternehmen, Start-ups und neue Geschäftsmodelle nutzen .ruhr als digitale Basis. Öffentliche Stellen präsentieren ihr Angebot über leicht einprägsame Domains und zunehmend demonstrieren Privatpersonen oder Vereine ihre Verbundenheit mit dem Ruhrgebiet durch individuelle, wohnortsbezogene E-Mail-Adressen bzw. Vereins- oder Blog-Internetpräsenzen.
Interessant ist, dass bereits mehrere Webauftritte, die unter .ruhr den Betrieb aufgenommen haben, durch Integration des .ruhr-Logos, der .ruhr-Landschaft und/oder der .ruhr-Führungsfarben Flagge für die neue regionale Domain-Endung und somit für die eigene Heimat zeigen oder .ruhr als Logobestandteil nutzen. Immer häufiger ist die Ruhrgebiets-Endung auch im öffentlichen Raum anzutreffen. All das hilft natürlich ungemein, die neuen .ruhr-Adressen in die Köpfe der Menschen zu bekommen.
Einige neu gegründete Start-ups firmieren sogar unter .ruhr, so beispielsweise die Trends & Brands.ruhr GmbH & Co. KG aus Essen oder meineHeimat.ruhr bzw. factory.ruhr aus Dortmund. Der Marketingclub Essen heißt jetzt Marketingclub Ruhr. Das renommierte Marketing- und Vertriebsnetzwerk ist seitdem über die ideal passende Webadresse marketingclub.ruhr online anzutreffen. Und aus dem Bochumer Zahnzentrum Europahaus wurde dental.ruhr. Prägnanter geht es nicht!
Lars Steffen: Von welchen new gTLDs haben Sie mehr erwartet bzw. von welchen wurden Sie positiv überrascht?
Anja Elsing: Ich habe eigentlich von allen new gTLDs mehr erwartet. Aktuell gibt es eine wahre Flut an neuen Domain-Endungen, die eine ganz neue Vielfalt im Netz bieten. Unternehmen können ihr Domain-Portfolio sinnvoll ergänzen und haben wieder eine Chance auf attraktive, prägnante und intuitive Internetadressen. Das Internet wird lokaler und Zielgruppen können noch treffender angesprochen werden. Der gesamten Branche ist es aber bisher noch nicht gelungen, ausreichend für die neu entstehenden Potenziale zu sensibilisieren. Wie bereits erwähnt sind die neuen Domain-Endungen noch recht unbekannt und brauchen ihre Zeit, um sich am Markt zu etablieren. Das wird sich aber entwickeln: Bevor es Smartphones gab, hatten unsere Telefone schließlich auch nur wenige Funktionen und Auswahlmöglichkeiten. Heute wählen wir wie selbstverständlich aus einer schier unüberschaubaren Anzahl an Apps das Passende aus. Positiv überrascht hat mich die Endung .club. Die Registry betreibt vorbildliches Marketing und hat darüber hinaus einen weltweiten Zielmarkt, so dass sich das enorme Marketing-Investment refinanzieren lässt.
Lars Steffen: Man hört in der Branche, dass Kunden und Interessenten noch immer nicht genug über die neuen gTLDs wissen. Welche Maßnahmen ergreifen Sie?
Anja Elsing: im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten sind wir in Sachen Marketing sehr aktiv.
Für herausragende Leistungen in diesem Bereich wurde .ruhr erst kürzlich vom Marketingclub Ruhr e. V. für den Tacken 2015 in der Kategorie Start-ups nominiert. Zudem konnten wir von Beginn an bedeutende Botschafter und Befürworter aus Politik, Wirtschaft und Kultur für das einende Vorhaben .ruhr gewinnen. Die emotionale Aufladung und der nachhaltige Aufbau von .ruhr stehen im Fokus all unserer Marketing-Maßnahmen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit legen wir besonders großen Wert darauf, die Geschichten und Menschen hinter bereits registrierten .ruhr-Adressen zu zeigen. Auf diese Weise soll nicht nur die allgemeine Sichtbarkeit gesteigert, sondern auch eine Basis für Identifikation geschaffen werden, auf der .ruhr erlebbar wird.
Lars Steffen: Werden bereits genug new gTLDs aktiv genutzt? Können Sie Beispiele nennen, die mit gutem Beispiel voran gehen?
Anja Elsing: Selbstverständlich. Im Ruhrgebiet gibt es bereits herausragende Beispiele für Seiten mit unique content, die unter .ruhr Flagge für die Region zeigen. Mit über 4.500 registrierten .ruhr-Domains ist bereits ein kleines „Stück Revier im Netz“ aktiv. Hier zeigt sich Klasse, statt Masse. Beispiele? Gerne!
www.welcome.ruhr – Das neue Internet-Portal für einwandernde Fachkräfte soll eine offene Willkommenskultur schaffen und die Integration über Welcome Guides erleichtern.
www.kunstgebiet.ruhr – Der erste digitale Kunstführer für das Ruhrgebiet zeigt die Vielfalt der Kunst im Revier.
www.eCommerce.ruhr – Regional orientiertes Portal zum Thema E-Commerce im Ruhrgebiet. „Seit langem fehlt nach unserem Verständnis dem Ruhrgebiet etwas Übergeordnetes“, so der Geschäftsführer Stefan Koshold. „Jetzt aber ist mit .ruhr eine Dachmarke entstanden, die für uns, da wir in der digitalen Welt zuhause sind, eine ideale Plattform ist.“
www.wissensnacht.ruhr – Im Rahmen des Langzeit-Projekts „klimametropole RUHR 2022“ widmen sich Wissenschaft und Forschung in den kommenden Jahren den zentralen Fragen zum Klimaschutz und zur -anpassung. Begleitet wird das Vorhaben von einer thematisch angebundenen Großveranstaltung, die ab 2014 im Zweijahrestakt bis 2022 den Fortschritt des Projekts für die Menschen des Ruhrgebiets erlebbar macht, die WissensNacht Ruhr.
www.barcamp.ruhr – Im März 2015 fand das Barcamp Ruhr unter dem Motto „Think global – act local“ im Essener Unperfekthaus statt. .ruhr führte einen Twitter Pitch #lokalimnetz durch und sponsert fünf lokalen Projekten für drei Jahre je eine .ruhr-Domain inklusive Hosting.
www.rs1.ruhr – Das Bundesverkehrsministerium und der Regionalverband Ruhr präsentieren die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie zur Umsetzung eines Radschnellwegs, welcher das Ruhrgebiet künftig durchqueren soll. Der geplante rund 100 km lange Radschnellweg Ruhr wäre der erste der Republik und soll u. a. die Städte Duisburg, Mülheim, Essen, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund und Hamm miteinander verbinden.
www.pressetermine.ruhr – Überblick über anstehende Presseveranstaltungen in der Ruhr-Region für Journalisten und Unternehmen.
Lars Steffen: Auf welche noch kommenden new gTLDs freuen Sie sich besonders und warum?
Anja Elsing: Ganz besonders freue ich mich auf die Endungen mit großem Potenzial, wie beispielsweise .shop oder .app und auch auf die Einführung der Google-Endungen. Letztere werden den Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz der neuen Domain-Endungen enorm steigern und ihre Relevanz bei Suchmaschinen deutlich erhöhen. Das ist umso erfreulicher, da die neuen geographischen Endungen schon jetzt gut ranken. Dies zeigt eine für .berlin in Auftrag gegebene Studie, die ergab, dass Webseiten mit .berlin-Domains bei der lokalen Suche um den Faktor 1,18 besser ranken als solche unter .de oder .com. Das stimmt uns sehr optimistisch.
Lars Steffen: Welche Maßnahmen erwarten Sie von anderen Registries und Registraren, um noch mehr Awareness im Markt zu schaffen?
Anja Elsing: Von den Beteiligten erwarte ich gemeinschaftliche Werbemaßnahmen, übergeordnete Awareness-Kampagnen, die Vertrauen bei den Internetnutzern schaffen, über die neu entstehenden Potenziale informieren und echte Testimonials zeigen: Menschen, Firmen, Start-ups, Institutionen etc., für die die neuen Endungen eine echte Bereicherung sind. Am Beispiel .ruhr habe ich Ihnen bereits einige genannt und davon gibt es noch viele mehr.
Lars Steffen: Wie bewerten Sie die Situation für zukünftige Runden weiterer new gTLDs?
Anja Elsing: Meiner Meinung nach sollte die gesamte Branche erst mal ihre Hausaufgaben machen, bevor sie die Einführung weiterer Endungen in Erwägung zieht. Awareness-Kampagnen sind nur ein Beispiel. Viel wichtiger ist jedoch die Behebung der nach wie vor bestehenden sogenannten „universal acceptance“-Probleme. Noch immer sind nicht alle Systeme, Browser etc. auf die neuen Domain-Endungen eingestellt und weisen diese zuweilen ab. Und wie sagt man so schön: Man muss erst laufen lernen, bevor man rennen kann.
Lars Steffen: Vielen Dank für das Gespräch!