eco Kompetenzgruppenleiter Prof. Dr. Hofmann im Interview
Nach dem „normalen“ Handel erreicht der E-Commerce zunehmend auch den Verkauf von höherpreisigen Produkten wie beispielsweise Autos. Die Omnipräsenz des Internet im Handel und den Wandel der Wirtschaft in eine Internetwirtschaft erklärt Prof. Dr. Rainer Hofmann, Leiter der eco Kompetenzgruppe E-Commerce, im Interview.
Die Studie von PwC zur Zukunft der Autohäuser klingt alarmierend. Wo muss bei den Autohändlern Ihrer Meinung nach das größte Umdenken erfolgen?
Gehen wir davon aus, dass der „normale Handel“ mit seinen endverbraucher-orientierten Produkten in den Regalen der Ladengeschäfte nunmehr verstanden hat, dass ihm der Onlinehandel eine Neuorientierung seiner Geschäftsmodelle abverlangt. Aber jetzt reden wir auch über den „höheren Handel“, der dadurch gekennzeichnet ist, dass auch relativ teure Produkte, deren Verkauf von qualifizierter, gar akademischer, Beratung begleitet ist, vom Onlinehandel betroffen ist: „E-Commerce ist überall!“ Das Darstellen von Angeboten und Preisen der Produkte im Internet betrifft schon länger „höhere Händler“, wie Apotheken, Banken, Immobilienmakler und so weiter – also, warum nicht auch die Autohändler?
Der Gebrauchtwagenhandel findet ja schon zu großen Teilen online statt. Beziehen sich die Prognosen also vor allem auf das Neuwagengeschäft? Und lassen sich die Strategien aus dem Handel mit gebrauchten Fahrzeugen einfach übertragen?
E-Commerce ist überall – es macht kaum noch Sinn, von „Onlinemarktanteilen“ im Handel zu reden: Fast alle Bereiche des Handels und der damit verbundenen Dienstleistungen sind von internetbasierten Onlinefunktionen durchdrungen.
Der „höhere Handel“ muss sich aktuell weniger dem Problem des zunehmenden Umsatzes im Netz stellen. Spannender ist der Einfluss der durch das Internet hervorgerufenen Markttransparenz und der damit auf die Produktpreise ausgeübte Druck: Alle Kunden kennen den global günstigsten Preis für eine gegebene Ware – den haben sie im Netz gefunden. Die Händler müssen nun ihren Preis an diesen global günstigsten Preis nach unten anpassen, um im Geschäft zu bleiben.
Inwiefern sehen Sie, dass auch die immer höhere technische Komplexität und Vernetzung der Fahrzeuge für den E-Commerce eine Rolle spielen könnte?
Das Verkaufen eines Autos ist ja nicht nur das Konfigurieren, das Verhandeln eines Preises, das Bezahlen und Ausliefern. Es ist auch das Wecken eines positiven Gefühls, von Begeisterung für das (neue) Fahrzeug – und der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Autohaus und Kunde. Der Kunde muss dem Autohaus dahin gehend vertrauen, gut beraten worden zu sein, und dass auch die spätere technische Betreuung für das Fahrzeug zuverlässig sein wird.
Je komplexer aber das Produkt ist, desto weniger versteht der Kunde selbst, wie es funktioniert – und desto wichtiger wird diese „Vertrauenskomponente“. Wir wissen heute sehr wohl, dass im Prozess der Förderung der Akzeptanz und des erfolgreichen Verkaufs von komplexen Produkten eine ganze Reihe von „vertrauensbildenden Faktoren“ zum Kunden hin kommuniziert werden müssen, und wir wissen auch, wie man solche „vertrauensbildenden Maßnahmen“ konstruieren kann. Dazu gehört zum Beispiel Informationstransparenz: Einige der Autohäuser,beziehungsweise Hersteller, informieren die Kunden über den laufenden Produktionsprozess und steigern so die „Bindungsenergie“; es werden auch online die An- und Abwahl von Ausstattungsdetails bis kurz vor der Produktion gestattet.
Gibt es Probleme, die aus dem zunehmenden Einfluss des E-Commerce erwachsen könnten – wenn ja, was wäre zu tun?
Uninformierte Kunden sind sich der Qualitätsmaßstäbe komplexer Produkte, der notwendigen qualifizierten Beratung und Betreuung nicht immer bewusst: Sie greifen konsequent nach dem billigsten Angebot, das qualitativ hochwertigere Produkt verschwindet vom Markt. Das kennen wir als „Adverse Selection“, wenn sich die Billiganbieter durchsetzen. Eben dies fördert aber der E-Commerce mit seiner Markt- und Preistransparenz.
Der Preisdruck im Onlinehandel kann zu einem langsamen Sterben von vielen traditionellen Autohäusern führen – aber, wegen der Adverse Selection, gleichzeitig zu einem Imageverlust bei den Automarken. Hersteller müssen daher über entsprechende Verträge und Regelungen ihre Vertragshändler vor Billigkonkurrenz schützen können. Gerade für die deutschen Premiummarken sind solche Regulierungen der Händlerlandschaft unabdingbar.
Sie sagen „E-Commerce ist überall!“ – ist das keine Überbewertung?
Das Internet und seine begleitenden Technologien haben sich für die bundesdeutsche (und auch die europäische) Wirtschaft zu einem Produktionsfaktor von zentraler Bedeutung entwickelt. Stünde das Netz ad-hoc komplett still, so wäre das von den Auswirkungen her eventuell vergleichbar mit einer Totalsperrung aller Autobahnen bei gleichzeitigem Ausfall aller Rundfunksender: Drei Tage später wäre die Republik wohl pleite.
Im Prinzip ist aus der gesamten deutschen Wirtschaft schon längst eine Internetwirtschaft geworden – auch wenn die politische Diskussion nicht immer – in dem Maß, wie es wünschenswert wäre – erkennen lässt, dass dieser Umstand adäquat verstanden worden ist.
Daher sollte die öffentliche Diskussion – geführt und angeführt von eco – um das „Gestalten des Internets“ sich dieser Wichtigkeit bewusst werden.