Der eco Verband unterstütz den DNS Resolver Quad9 in seinem Rechtsstreit gegen Sony. Warum, das erläutert der eco Vorstand Klaus Landefeld im Interview.
Herr Landefeld, Quad9 vs. Sony – worum ging es seit Mai 2021 vor dem Landgericht Hamburg?
Landefeld: Grundsätzlich geht es mal wieder um die Störerhaftung, ein rechtliches Konstrukt, wie es so nur in Deutschland existiert. Das kennen wir schon: Bereits beim Thema WLAN-Nutzung wollten Content-Anbieter Access-Provider in Anspruch nehmen, weil sie Menschen Zugang zum Internet gewähren, den diese dann nutzen, um Filme oder Musik illegal aus dem Netz zu laden. Hier liegt der Fall ähnlich, doch statt eines Providers wurde mit Quad9 ein sogenannter DNS Resolver angegangen. Sony hat Quad9 gerichtlich per einstweiliger Verfügung untersagen lassen, einen Domain-Namen in eine IP-Adresse aufzulösen, damit eine Webseite, auf der wiederum Links zu urheberrechtlich geschütztem Content vorgehalten wird, nicht mehr aufgerufen werden kann.
Quad9 ist Betreiber eines offenen, rekursiven DNS-Resolvers. Was ist das für ein Service und wie unterscheidet er sich von anderen, ähnlichen Angeboten?
Landefeld: Quad9 ist eine Stiftung in der Schweiz und ein Dienst, der zur Internet-Infrastruktur gehört. Man braucht diese DNS-Resolver, damit das Internet funktioniert. Rekursive DNS-Anfragen sind Standardanfragen von Benutzern oder von DNS-Servern. Diese Dienste lösen DNS-Namen zu IP-Adressen auf. Ein typisches Beispiel einer solchen Standardanfrage ist der Aufruf einer URL wie www.eco.de in der Adresszeile eines Browsers. Einfach formuliert sind DNS-Resolver die Adressbücher des Internets, die Internet-Adressen im Browser in IP-Adressen übersetzen und so Nutzer zur richtigen Webseite lotsen. Die DNS-Resolver wissen, anders als die Access-Provider, allerdings nie, woher die Anfragen kommen. Lokale Access-Provider hingegen, etwa in Deutschland, wissen genau, wo ihre Kunden sitzen. Daher können sie sicher sein, dass hier auch deutsches Recht anzuwenden ist. Und wenn eine deutsche Behörde, wie die Bundesnetzagentur zugestimmt hat, bestimmte Internet-Adressen zu sperren, dann können die das auch tun. Ein unabhängiger Resolver wie Quad9 kann technisch kaum unterscheiden, woher auf der Welt die Anfrage stammt und wie in diesem Land die Rechtslage ist – sprich ob er die DNS-Anfrage auflösen darf oder nicht. Quad9 muss daher erheblichen Aufwand betreiben, um die Anforderungen der einstweiligen Verfügung umzusetzen.
Das Landgericht Hamburg hat am 30.11.2021 den Widerspruch von Quad9 gegen eine einstweilige Verfügung vom vergangenen Mai zurückgewiesen. Wie hat das Landgericht seine Entscheidung begründet?
Landefeld: Die Begründung des Landgerichts Hamburg, die Verfügung aufrecht zu erhalten, ist sehr interessant. Quad9 hatte argumentiert, dass es zur Umsetzung des geforderten Blockings eine ressourcenintensive Geolokalisierung durchführen muss, um zu prüfen, woher die Nutzer ihres Dienstes kommen, um dann die Verfügung auf Nutzer aus Deutschland anzuwenden. Das Landgericht ignoriert einfach alle damit in Zusammenhang stehenden technischen Fragestellungen vollständig mit dem Argument: Quad9 könnte höhere Kosten vermeiden, wenn der Resolver das deutsche Recht einfach weltweit anwenden und die Seite einfach weltweit sperren würde. Der aufwändige Betrieb einer Geolokalisierung sei nicht notwendig. Das ist ein sehr spannendes Argument. Quad9 ist kein Standard-Resolver, der Endkunden von ihren Access-Providern vorkonfiguriert zur Verfügung gestellt wird. Um Quad9 als Resolver-Dienst nutzen zu können, musste Sony diesen händisch eintragen, um überhaupt eine Auflösung dieser Webseite zu erreichen. Ebenso können Nutzer wiederum natürlich auch andere Resolver-Dienste manuell konfigurieren, um Sperren zu umgehen. Eine Sperre bei Quad9 bringt nichts, wenn tausende anderer DNS-Resolver, wie etwa Google, Cloudflare oder OpenDNS, die Domain weiterhin auflösen. Für höhere Gerichte ist der grade genannte Punkt, den das Landgericht Hamburg für nicht erheblich hält, sicherlich sehr spannend.
Wenn die Sperre einer Internetadresse gerichtlich angeordnet werden soll, dann muss diese Sperre auch effektiv sein. Ich kann von Quad9 diesen großen technischen Aufwand nicht verlangen, wenn für Sony die erhoffte Wirkung praktisch vollständig ausbleibt. Das Landgericht sieht das anders, weil einigen Nutzer, nämlich denen, die Quad9 nutzen, der Zugriff auf die Domain und die dahinter liegende Webseite ja verwehrt würde. Dass Nutzer jedoch einfach andere Dienste verwenden können, hält das Gericht für unerheblich. Die Sperre sei ja für die Nutzer, die den Dienst nicht wechseln, effektiv und außerdem würde das Angebot nicht mehr abrufbar sein, wenn alle Betreiber von DNS-Resolvern die Adresse sperren würden.
Diese Argumentation halten wir für völlig verfehlt. Man muss schließlich überlegen, was vom Gesetzgeber gewollt ist. Und hier ist, analog zur WLAN Störerhaftung, politisches Ziel, dass Internet-Basisdienste, wie Access-Provider und DNS-Resolver, haftungsprivilegiert sein sollen. Sie halten keine Inhalte auf ihrer Infrastruktur vor und werden auch nicht für den Inhalteanbieter tätig, sondern sie vermitteln lediglich den Zugang. Das Gericht sieht aber Quad9 nicht als Betreiber eines Telemediendienstes an, so dass es die dort festgelegten Haftungsprivilegierungen nicht anwendet. Würde Quad9 wie ein Access Provider behandelt, dann kämen wir nämlich überhaupt nicht mehr zur Störerhaftung.
Das Landgericht weist darauf hin, dass der Gesetzgeber tätig werden müsse, wenn er die Privilegierung hinsichtlich der Störerhaftung auch auf die DNS-Resolver ausdehnen wollte. Das wird die Politik vermutlich tun. Im deutschen Recht ist das noch nicht umgesetzt, auf EU-Ebene gibt es allerdings schon entsprechende Planungen im Rahmen des Digital Services Act.
Sony nutzt diese Lücke in Kombination mit dem abstrusen Konstrukt der Störerhaftung aus, um Basisdienste anzugehen. Historisch betrachtet gibt es DNS-Resolver jedoch nicht erst seit wenigen Jahren, sondern schon solange es das DNS gibt– quasi als eingebetteter Dienst, den Access Provider aufgrund der technischen Notwendigkeit ihren Kunden im Rahmen eines Internetzugangs anbieten, um das Internet (WWW, E-Mail, etc.) nutzen zu können. Man ist nicht auf die Idee gekommen, dass man diese Dienste überhaupt privilegieren muss. Man muss DNS-Resolver jedoch auch als unabhängige Dienste privilegieren, sonst möchte diese Dienste niemand erbringen, die ja grundlegend sind für das Funktionieren des Internets. Dabei lassen sich nicht nebenher Millionen von Domains prüfen, ob sie auf legale oder illegale Inhalte verweisen.
Quad9 wird gegen die Entscheidung vorgehen. Was versprechen Sie sich von diesem nächsten Schritt?
Landefeld: Das Landgericht Hamburg ist in der Vergangenheit immer wieder durch sehr Rechteinhaber-freundliche Urteile aufgefallen. Ich gehe davon aus, dass kein anderes Gericht in Deutschland so weit gehen würde, die Störerhaftung auf die DNS-Resolver auszudehnen. Quad9 wird auf jeden Fall gegen die Entscheidung vorgehen, denn das Urteil gefährdet direkt ihr Geschäftsmodell. Es ist schlicht nicht zumutbar, dass DNS-Resolver allen Ansprüchen von Rechtinhabern nachkommen und global sperren müssen. Man muss auch bedenken, dass Quad9 ein Service ist, den Nutzer gratis verwenden dürfen und der auch keine Einnahmen hat. Diese Stiftung kann das nicht leisten und muss sich wehren.
Daher unterstützen wir als eco Verband und andere Organisationen Quad9 in diesem Rechtsstreit. Das vorliegende Problem von Quad9 betrifft die gesamte Branche. Internet-Dienste dürfen nicht für Dinge haftbar gemacht werden, die überhaupt nichts mit der strittigen Leistung zu tun haben – Quad9 hostet nicht die Inhalte, gibt keine Zugänge und hat auch sonst keine Geschäftsbeziehung mit der strittigen Webseite. Das Einzige was sie tun ist, den Aufruf eines Domain-Namens in eine maschinenlesbare IP-Adresse zu übersetzen. Daraus abzuleiten, Quad9 wäre elementar an der Zurverfügungstellung illegaler Inhalte beteiligt, ist aus Sicht des eco Verbands nicht nachvollziehbar.
Dazu kommt, dass die Haftungsprivilegierung des Access Providers nach dem Telemediengesetz ausgehöhlt würde. Rechteinhaber könnten eigentlich haftungsprivilegierte Access Provider einfach in ihrer Eigenschaft als Betreiber von DNS-Resolvern in Anspruch nehmen – schließlich ist jeder Access Provider auch ein Betreiber von DNS-Resolvern.
Wir sollten mehr darauf hinwirken, dass die illegalen Inhalte tatsächlich gelöscht werden und aus dem Netz verschwinden. Rechteinhaber haben ein berechtigtes Interesse daran, das ihnen auch niemand absprechen möchte. Sie sollten ihre Rechte jedoch an der richtigen Stelle durchsetzen. Intermediäre wie DNS-Resolver sind die falschen Ansprechpartner. Da es die Störerhaftung nur in Deutschland gibt, müssten sich die deutschen Gerichte demnach mit tausenden internationalen Fällen beschäftigen. Auch das ist unrealistisch, über das Hilfskonstrukt „Deutsches Recht“ weltweit Sperrungen durchzusetzen.
Eine Reihe von Organisationen steht Quad9 in dem Verfahren zur Seite. Wer zählt zu den Unterstützern und warum?
Landefeld: Zu den Unterstützern zählt neben dem eco Verband, der eine Gefährdung des gesamten Zusammenspiels in der Branche abwenden möchte, auch die GFF, die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Die GFF sieht den Fall aus Nutzersicht: Dienste, die Nutzer ja sogar schützen und für diese elementar sind, dürfen nicht derart in Haftung genommen werden. Quad9 bietet seinen Nutzern neben der DNS-Auflösung noch einen Schutz vor Maleware. Diesen Sicherheitsdienst legt das Landgericht Hamburg den Nutzern sogar negativ aus. Da Quad9 Webseiten mit Cyber-Bedrohungen sperren kann, könne man diesen Dienst ja auch auf Webseiten mit Urheberrechtsverstößen anwenden. Die GFF wehrt sich gegen diese Argumentation, da Urheberrechtsverstöße und Malware sich an dieser Stelle nicht gleichsetzen lassen. Quad9 übernimmt Quellen von Malware ungeprüft von Drittorganisationen wie CERTS, hat jedoch keine Chance festzustellen, ob auf einer beliebigen Webseite Rechte verletzt werden. Das Internet lebt davon, das Dienste zusammenarbeiten, Links funktionieren sowie Daten und Inhalte miteinander verknüpft sind. Wenn sich Infrastrukturanbieter sorgen müssen, mit Ansprüchen und Klagen überzogen zu werden die ja auch mit Kosten verbunden sind, würde das den Markt zerreißen. Nach deutscher Störerhaftung sind nach dem ersten „kostenfreien“ Hinweis auch Abmahnkosten durch den Abgemahnten zu tragen. Das hätte zur Folge, dass sicherlich viele kleine Anbieter einfach ungeprüft Angebote sperren würden, um ein Kostenrisiko zu vermeiden oder ihren Dienst einstellen, weil ihnen das Risiko zu hoch ist. Eine solche Kultur, Netzsperren im vorauseilenden Gehorsam ohne rechtliche Grundlage durchzuführen, gilt es zu verhindern.
Herr Landefeld, vielen Dank für das Interview