Es gibt tausende gute Gründe, warum die Internetwirtschaft weibliche Verstärkung braucht. Schließlich stehen zahlreiche Jobangebote dem Fachkräftemangel gegenüber oder aber homogene Teams und Denkweisen Innovationen im Wege. Die Digitalbranche boomt, täglich entstehen neue digitale Geschäftsmodelle und schaffen lukrative Jobs, doch die lassen sich Frauen noch zu häufig entgehen. Wir wollen das ändern. In unserer Serie „Frauen in der Tech-Branche“ kommen inspirierende weibliche Fach- und Führungskräfte der Internetbranche zu Wort. Dabei sprechen wir über die wirklich wichtigen Themen: von Entwicklungsperspektiven über Karrieretipps und Zukunftswünsche bis hin zu den Herausforderungen in einem männerdominierten Arbeitsumfeld und warum Arbeit in der Internetbranche Spaß macht. Diesmal mit: Anja Sommerfeld, Director Sales DACH azeti GmbH und Lehrbeauftragte der FH Dortmund.
Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Anja Sommerfeld: Director Sales DACH azeti GmbH, Diplom-Ingenieurin, Lehrbeauftrage der FH Dortmund
Wenn ich Ihre Position hätte, was würde mich denn in meinem Arbeitsalltag erwarten? Und welche Eigenschaften muss ich dafür mitbringen?
Sommerfeld: Im Vertrieb bin ich natürlich sehr viel unterwegs. Übersitzt gesagt: Jeder Tag im Büro ist eigentlich verschwendete Zeit. Man spricht sehr viel mit unterschiedlichsten Menschen, um gemeinsam Projekte zu identifizieren und Kunden von Produkten und Lösungen zu überzeugen. Das ist für mich das Allerschönste an meinem Beruf. Natürlich habe ich aber auch Tage, die ich im Büro verbringe. Da heißt es, E-Mails bearbeiten oder Präsentationen aufbereiten, mich mit Excel-Tabellen beschäftigen und Zahlen analysieren, um daraus die optimale Sales-Strategie abzuleiten. Das Groß ist aber eindeutig, das Draußen-sein, das Präsentieren und Netzwerken und das Gesicht der Firma zu sein. Dazu muss man Lust haben, man muss vor allem kommunikativ sein, auf Menschen zugehen können und die Fähigkeit mitbringen, andere zu überzeugen.
Wie kam es zu Ihrer Berufswahl?
Sommerfeld: Ich bin Ingenieurin, habe selbst Architektur studiert. Als ich mit dem Studium fertig war, ging der Internet-Hype richtig los. Ich habe zunächst als Architektin gearbeitet, der Bau war aber nichts für mich. Ich habe dann ein paar Informatiker kennengelernt, die fand ich super. Sie hatten diese Vision: Wir buddeln uns ein Kabel durch den Atlantik und holen das Internet nach Deutschland. Das hat mich total fasziniert. Dabei bin ich dann auch geblieben. Ich habe mich stets mit neuen Thematiken rund um IT/Internet beschäftigt und mich immer wieder in neue Gebiete eingearbeitet. Das ist etwas, was mich persönlich sehr ausmacht.
Sie waren Geschäftsführerin des ruhr:HUB mit intensiven Kontakten zur Start-up-Szene. Sie sind selbst Co-Gründerin und geben an der FH Dortmund auch Seminare im Bereich Existenzgründung. Der Bundesverband Deutsche Startups herausgegebene Females Founder Monitor 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass nur acht Prozent der Start-ups in Deutschland von Frauen gegründet werden. Bei weiteren 20 Prozent ist immerhin wenigstens eine Gründerin im Team. Woran liegt das?
Sommerfeld: Ich weiß nicht, ob wir generell weniger Gründerinnen haben, aber im IT-Bereich und den gehypten Start-Up-Themen trifft das sicherlich zu. Ich glaube, einerseits liegt es vielen Frauen nicht hinzugehen und zu sagen: Ich habe da eine tolle Idee und dafür brauch ich jetzt 3 Millionen Euro. Während Männer sich breitbeinig hinstellen und sagen: Ich mach das jetzt einfach mal. Ob das letztendlich unsere Gene sind oder die Erziehung, da gibt es sicherlich eine ganze Reihe an Untersuchungen zu. Ich bin diesen Weg als Frau selbst gegangen, um Investoren zu gewinnen: von Lünen über Berlin bis hin zum Silicon Valley. Der Großteil an Frauen gründet aus meiner Sicht aber anders. Meine Schwester beispielsweise hat eine Tierarzt-Praxis ganz konservativ geründet, eben ohne Investoren. Zudem gründen Frauen eher in klassischen Berufen wie Zahnärztin, wo es nicht darum geht, ich skaliere jetzt, mache Millionen und gehe ins Silicon Valley.
Wo liegen aus Ihrer Erfahrungen im ruhr:HUB und als Uni-Dozentin die Ursachen dafür?
Sommerfeld: Ich glaube, viele Frauen wollen in erster Linie eine gute Sache machen. Wir wollen auch Erfolg, aber das Monetäre steht nicht so stark im Fokus. Männer entwickeln vielleicht eine App gehen los und suchen einen Investor, der Millionensummen in das Unternehmen fließen lässt. Für Gründerinnen steht das nicht so im Fokus. Die machen ihre Millionen mitunter dann im Nachhinein auch, aber sie gehen nicht von Vornhinein mit der Zielsetzung daran. Vielleicht spielt da bei vielen Frauen auch eine gewisse Bescheidenheit hinein.
Sie geben an der FH Dortmund Rhetorik-Seminare für Studenten. Gibt es aus Ihrer Sicht stereotype Unterschiede in der Rhetorik von Studenten und Studentinnen?
Sommerfeld: Allgemein fällt mir auf, dass die Jungs ein größeres Selbstbewusstsein mitbringen. Es gibt natürlich auch Frauen, die das direkt mitbringen, was ich klasse finde. Dass männlichen Studenten das Präsentieren mitunter leichter fällt, rührt daher, dass ihnen im Allgemeinem erst einmal egaler ist, was die anderen von ihnen denken. Sie fokussieren sich nicht ständig auf die Frage, was denken die anderen jetzt von mir und sind nicht so darauf bedacht, es allen recht zu machen.
Was sind Ihre Karriere-Tipps für Studentinnen?
Sommerfeld: Mut zu haben, etwas zu tun und Entscheidungen zu treffen. Wenn sich beispielsweise eine Studentin selbstständig machen will. Dann sage ich ihr: Mach es, probiere es aus und wenn es nicht klappen sollte, dann ergibt sich ein anderer Weg. Sehr wichtig ist auch, sich seiner Selbst bewusst zu sein. Das heißt, Antworten zu haben auf die Fragen: Was sind meine Stärken? Was kann ich wirklich gut? Was will ich erreichen? Ich frage meine Studenten in meinem Seminar immer: Was sind denn eure größten Erfolge? Dann antworten die meisten: mein Abitur. Aber was hast du die 18 Jahre davor gemacht? Was sind deine Erfolgsstrategien bis zum 18 Lebensjahr gewesen? Das sollte eigentlich schon in der Schule thematisiert werden.
Was steht Frauen denn mitunter im Weg?
Sommerfeld: Da fällt mir direkt ein: Ich habe letztlich eine Frau getroffen, die hatte typisch männliche Gesten angenommen. Davon kann ich nur abraten. Authentizität ist ein wesentlicher und sehr wichtiger Faktor von Erfolg. Zweitens ist es wichtig, sich klare Ziele zu setzen: Was will ich eigentlich? Will ich im Beruf unbedingt gut Freund mit jedem sein oder fokussiere ich meine Ziele? Wenn man ein Ziel vielleicht auch nicht erreicht, ist das gar nicht so schlimm, aber es ist entscheidend, sich Ziele zu setzen. Drittens stelle ich immer wieder fest, Frauen neigen bei Kritik oder nach Auseinandersetzungen dazu, noch Tage darüber nachzugrübeln. Dahingehend lautet mein Tipp: Lege nicht jedes Wort auf die Goldwaage, insbesondere dann nicht, wenn du dich beruflich in einem männerdominierten Umfeld bewegst.
Haben Sie selbst noch Vorbilder? Nehmen wir an Sie selbst könnten eine beliebige, weibliche Persönlichkeit (gerne aus der Tech-Branche) – egal ob lebendig oder tot – treffen: Wer wäre es und warum?
Sommerfeld: Michelle Obama würde ich sehr gerne einmal treffen. Ich habe gerade ihr Buch gelesen. Es hat mich sehr inspiriert. Michelle Obama ist eine wirklich sehr starke und beeindruckende Persönlichkeit. Sie hat sehr klar berichtet, was es bedeutet Präsidenten-Gattin zu sein, wie abgeschottet man lebt, dass man eigentlich kein Privatleben mehr hat. Wie sie das vor allem in Bezug auf ihre Kinder gemeistert hat und wie sie Barack Obama den Rücken freigehalten hat, hat mich sehr beeindruckt. Grundsätzlich gebe ich meinen Studenten immer den Tipp: Lest jedes Jahr eine Biografie von einer Person, die euch interessiert. Frauen empfehle ich auch einmal eine Biografie einer Frau zu lesen aufgrund der Identifikation.
Wir geben Ihnen jetzt mal einen weiteren interessanten Job und machen Sie zur Chefredakteurin eines Leitmediums – egal ob Bild, Die Zeit oder FAZ: Welche Schlagzeile würden Sie zum Thema „Diversity/Frauen in der Tech-Branche“ im Aufmacher-Artikel gerne lesen? Und was soll in dem Artikel stehen?
Sommerfeld: Ich wünsche mir definitiv mehr Erfolgsgeschichten. Wir Deutschen neigen tendenziell eher dazu Negativ-Themen breit auszurollen. Ich bin Abonnentin eines Magazins, das auch Unternehmer-Geschichten und -Porträts beinhaltet. Es zeigt den Erfolg von Unternehmerinnen und den Weg dorthin. Wie sind sie dahin gekommen? So würde auch mein Aufmacher-Thema aussehen. Dabei muss es gar nicht die mega-erfolgreiche Unternehmerin aus dem Silicon Valley sein, sondern auch die Unternehmerin von nebenan. Ich mag mutmachende Geschichten, in denen man sich selbst wiederfindet und Unternehmerpersönlichkeiten, mit denen man sich identifizieren kann. Zudem würde ich natürlich auch die Erfolgsgeschichten von männlichen Unternehmern integrieren, denn Diversity meint auch ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis.
Im Rahmen unserer Interview-Reihe haben wir beim letzten Mal Saskia Steinacker, Global Head Digital Transformation bei Bayer getroffen. Sie hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Wie kann man Entscheider in Firmen dazu bringen, Diversity als ihre persönliche Verantwortung zu sehen und zu fördern?
Sommerfeld: Gerade im Sauerland/Südwestfalen sitzen die so genannten Hidden Champions. Da beobachte ich durchaus, dass Thomas und Michael in der Überzahl sind. Auf der anderen Seite stelle ich fest, dass sich schon eine ganze Menge tut, indem eben alteingesessene Familienunternehmer sagen: Ich setzte an diese Position jetzt jemanden, der gerade von der Uni kommt oder/und eine Frau ist. Gerade im digitalen Umfeld und den Innovation-Hubs sehe ich häufig, dass da ganz bewusst auch Frauen oder Personen mit einem anderen Skill-Set und Erfahrungsschatz eingestellt werden. Ob das von Herzen so gemeint ist oder mitunter auch mal Marketing ist, da bin ich unschlüssig. In jedem Fall müssen wir diese Entwicklung nutzen. Ich glaube, letztendlich können wir an die Alteingesessenen nur appellieren, dass sie sich für Diversity einsetzen, neue Stellen schaffen und diese nicht nach dem Ähnlichkeitsprinzip besetzen. Die Tendenz dahin ist aus meiner Sicht schon deutlich spürbar. Die Gesellschaft ist eben nicht schwarz-weiß, sondern kunterbunt und das sollte sich auch in den Unternehmen und Führungsetagen niederschlagen.
Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Frage sollen wir unserer nächsten Interview-Partnerin stellen?
Sommerfeld: Wie und wodurch kann es gelingen, damit wir den Blick für unsere Gesellschaft weiter öffnen (siehe z. B. Skandinavien), damit eine Gleichstellung von Mann und Frau als völlig normal gilt?
Vielen lieben Dank für das Interview, Frau Sommerfeld!
Für unsere Serie Frauen in der Tech-Branche suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Weitere Informationen zum Thema Frauen in der Tech-Branche finden Sie in unserer Pressemitteilung und bei unserer Kompetenzgruppe New Work
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