Es gibt tausende gute Gründe, warum die Internetwirtschaft weibliche Verstärkung braucht. Schließlich stehen zahlreiche Jobangebote dem Fachkräftemangel gegenüber oder aber homogene Teams und Denkweisen Innovationen im Wege. Die Digitalbranche boomt, täglich entstehen neue digitale Geschäftsmodelle und schaffen lukrative Jobs, doch die lassen sich Frauen noch zu häufig entgehen. Wir wollen das ändern. In unserer Serie „Frauen in der Tech-Branche“ kommen inspirierende weibliche Fach- und Führungskräfte der Internetbranche zu Wort. Dabei sprechen wir über die wirklich wichtigen Themen: von Entwicklungsperspektiven über Karrieretipps und Zukunftswünsche bis hin zu den Herausforderungen in einem männerdominierten Arbeitsumfeld und warum Arbeit in der Internetbranche Spaß macht. Diesmal mit: Kenza Ait Si Abbou Lyadini, PMP, Senior Managerin Robotics & Artificial Intelligence
Wenn ich Ihre Position hätte: Was würde mich denn in meinem Arbeitsalltag erwarten? Und was muss ich für den Job unbedingt mitbringen?
Ich treibe die Themen AI und Robotics bei der Telekom und leite das interne Consulting rund um die Robotic-Process-Automation und KI-Lösungen innerhalb der IT-Abteilung. Zudem bin ich sehr viel auf Konferenzen, Panels und Veranstaltungen, um unsere Arbeit und das Thema AI auch nach außen sichtbar zu machen. Ich tausche mich mit Konzerneinheiten aus und unterstütze sie bei der Identifizierung von Automatisierungs- und KI-Anwendungen. Ich berate Business Leader, wie sie mithilfe von KI und Robotics Prozesse automatisieren und effizienter gestalten. Da geht es häufig um KPIs und Kosten. Wenn es hingegen eine innovative, technische Lösung braucht, um die Business Challenge zu meistern, dann berate ich auch dazu und bin auch das Bindeglied in die Entwicklung. Als Business Leader muss man schließlich nicht unbedingt wissen, wie ein Algorithmus programmiert wird, dafür sind wir da.
Bei der Telekom haben Sie einen Hackathon speziell für Frauen veranstaltet. Wie kam es dazu?
Wir haben zwar einige Frauen in der IT bei uns. Aber die meisten trauen sich nicht, an einem Hackathon teilzunehmen. Ich selber gehe total gerne zu Hackathons. Wenn ich dann Kolleginnen anspreche und sage: Hey, willst Du nicht mitkommen. Dann kommt als Antwort oft: Hackathons sind doch nur was für Hardcore Geeks. Deshalb haben wir beschlossen, wir machen einen Hackathon zum Thema KI nur für Frauen. Damit nehmen wir diese Ängste und Vorurteile. Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Alle Teilnehmerinnen waren total begeistert. Bei unserem AIHack4Ladies sind über 50 Frauen aus dem AI-Umfeld zusammengekommen, darunter Data Scientist, Entwicklerinnen und Grafikerinnen, die dann in Teams Prototypen entwickelt haben. Für den 24. und 25. Oktober planen wir wieder einen Hackathon bei uns im hub:Raum in Berlin. Das Thema Diversität steht dabei weiterhin im Vordergrund. Da werden Frauen und Männer gemeinsam Lösungen im Bereich Cybersecurity entwickeln. Die Teams werden wir nach verschiedenen Diversity-Aspekten zusammenstellen wie kultureller Hintergrund, Geschlecht, Herkunft und Skills.
Was hat das Frauen-Sieger-Team im letzten Jahr entwickelt?
Das Team hat eine Lösung für mehr Chancengleichheit im Bewerbungsprozess entwickelt. Es geht darum durch den Einsatz von KI, den Recruiting-Prozess so neutral wie möglich zu gestalten und dafür zu sorgen, dass keine Person diskriminiert wird. Dazu ging es um drei Teilbereiche. Erstens hat sich das Team Stellenanzeigen angesehen, welche Formulierungen wirken auf Frauen eher abschreckend, bzw. welche Formulierungen enthalten irgendeine Art von Vorurteil. Dann haben sie die Bewerberseite beleuchtet. Welche Formulierungen nutzen Frauen in Anschreiben und CV eher als Männer? Der dritte Teil der Lösung bestand aus einer Diversity Engine, die Aufschluss darüber gibt, wie divers mein Team aktuell ist und wie sich die Diversität verändert, je nachdem wen ich einstelle. Ich bin mir zu 95 Prozent sicher, dass ein Männerteam nie auf diese Idee gekommen wäre, weil sie den Pain nicht haben. Sie schrecken Formulierungen in Stellenanzeigen nicht ab und daher kommen sie auch nicht auf die Idee, dazu eine Lösung zu entwickeln. Das bezieht sich natürlich auf unsere Branche, die IT Branche.
Warum scheuen Frauen mitunter die IT?
Das ist wahnsinnig komplex und hat mehrere Gründe. Es gibt nicht die eine magische, allumfassende Antwort. Ein Thema, das aber eine große Rolle spielt, sind Stellenanzeigen. Die Stellenausschreibungen sind meistens für Männer geschrieben und daher für Frauen nicht unbedingt sonderlich attraktiv. Das zeigt sich beispielsweise in Ausdrücken, die stark männlich-dominiert sind. Wo Frauen dann mitunter denken, da wird ein extrem ehrgeiziges Alphatier mit Ellenbogenmentalität gesucht. Da sagen Frauen dann: Darauf habe ich keine Lust. Ich bin eher ein sehr teamfähiger, kooperativer Mensch und suche eher einen Arbeitgeber, der diese Werte sucht. Männer nutzen im CV und Anschreiben sehr häufig die Ich-Form, die eigene Person steht immer im Vordergrund. Bei Frauen geht es eher um Aspekte wie Kollaboration, Moderation, Teamfähigkeit, kurz gesagt: den Wir-Gedanken, das Gemeinsam-Etwas-erreichen. Frauen sagen eher: Ich bin Teil vom Team und ich sorge dafür, dass alle zusammen arbeiten können, anstatt zu schreiben: Ich habe das Team geführt. Diese bescheidende Haltung im Bewerbungsprozess, wird oft als „unqualifiziert“ wahrgenommen. Aber das Problem fängt natürlich viel früher an. Es geht schon los mit der traditionellen Erziehung von Mädchen und Jungs, bereits in der Kita. Dann hören viele Mädchen in der Schule „Mathe ist nichts für Mädchen“. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich diesen Satz heute noch von Mädchen höre.
Sie repräsentieren Diversity bei der Telekom. Wie lebt ihr Diversity im Konzern?
Generell ist die Telekom wirklich offen für alle. Der Diversity-Bereich engagiert sich sehr. Wir haben das Frauen-Netzwerk Women@Telekom, bei dem wir beispielsweise Hackathons speziell für Frauen veranstalten oder Podiumsdiskussionen zu Woman in AI oder Gender in AI organisieren. Die Magenta Pride Kollegen haben die Telekom auf dem Christopher Street Day (CSD) in Köln repräsentiert, mit 250 Kollegen. Wir hatten eine Trans@work-Ausstellung bestehend aus Porträts transsexueller Menschen. Das sind Menschen, die arbeiten bei uns und das ist eben auch total normal. Wir sind Partner von FemTech und Global Digital Women, Panda und haben Inhouse-Initiativen und Projekte für Flüchtlinge. Operativ ist es manchmal schon eine Herausforderung, Diversity auch in die Köpfe der Mannschaft zu bekommen. Das stützt auch die Allbright-Studie mit dem sogenannten Thomas-Effekt. Der Vorstand heißt Thomas und der stellt dann eben den nächsten Vorstand ein, der auch Thomas heißt, der genauso aussieht und genauso viele Kinder hat und so weiter. Er stellt also sein eigenes Mini-Me ein. Diesen Kreislauf zu durchbrechen, ist wahnsinnig kompliziert.
Sie machen sich stark für Frauen in der IT. Sie sitzen in der Jury vom MINT-Award der Initiative MINT Zukunft schaffen, wurden mit dem Female Digital Leader Award ausgezeichnet und vertreten das Thema als Keynote Speakerin auf sehr viel auf Konferenzen. Warum ist Dir Ihnen Thema Diversity persönlich wichtig?
Ja, das Thema ist mir definitiv sehr wichtig. Ich bin in Marokko geboren und aufgewachsen, habe Elektrotechnik in Spanien und Deutschland studiert. Ich habe lange Zeit in China gelebt und unter anderen für die EXPO in Shanghai gearbeitet. Ich spreche sieben Sprachen. Weil ich so viele Perspektiven habe und offen für die Welt bin, stärkt das auch meine Fähigkeit zur Innovation. Wenn man nicht in so einer Box verhaftet ist, kann man auch sehr gut quer denken und über den Tellerrand hinaus schauen. Dann findet man Zusammenhänge, die jemand oder eine homogene Gruppe ohne diese diversen Erfahrungen, gar nicht so sieht. Deshalb setze ich mich auch sehr für Diversity ein. Ich bin absolut davon überzeugt, dass Diversität richtig ist und etwas bringt. Zudem habe ich selber in meiner Vergangenheit auch schwierige Situationen erlebt bzw. Dinge, mit denen ich zu kämpfen hatte. Deshalb möchte ich, dass die Welt für die nächste Generation besser wird.
Gudrun Scharler; Chief Operations Officer bei Unitymedia hat uns folgende Frage für Sie mitgegeben: Wie machen Sie anderen Frauen Mut? Wie empowern Sie andere Frauen?
Als Leiterin vom Netzwerk Women@Telekom suche ich aktiv den Austausch mit weiteren Frauen-Netzwerken anderer Firmen, oder mit selbstständigen Netzwerken wie beispielsweise den Global Digital Women oder Women in AI. Ich empowere Frauen, indem ich auf sehr, sehr viele Konferenzen gehe. Ich traue mich auf die Bühne zu gehen und über AI zu referieren, obwohl ich seit 15 Jahren keinen Algorithmus mehr selbst programmiert habe. Ich tue das nicht nur, um das Thema AI zu platzieren, sondern auch für das Female Empowerment. Ich zeige damit Präsenz und dass es Frauen gibt, die sich in dem Thema auskennen, die auch auf der Bühne darüber reden können. Umso mehr Frauen es tun, umso selbstverständlicher wird es. Die Mädchen nächster Generationen denken dann eben gar nicht erst: Oh, auf der Bühne stehen nur Männer. Podiumsdiskussionen mit rein männlichen Teilnehmern werden hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt: Ich mochte Mathe schon als Kind. Haben Sie einen Tipp, wie man Kinder für Mathe begeistern kann?
Wenn ich in meine eigene Vergangenheit schaue, dann war meine Begeisterung für Mathematik immer intrinsisch motiviert. Ich bin mit einem Blatt Papier zu meiner Mutter gegangen und habe gesagt, schreib mir bitte Mathematikübungen auf. Ich wollte die Aufgaben lösen. Ich liebe Mathematik. Ich sehe Mathematik überall. Ich meine, wenn man ein Auto parkt, dann ist das Geometrie. Du musst wissen, wie groß ist das Auto, wie groß ist die Parklücke und wie bekommst du es in die Parklücke. Je besser du warst, desto besser kriegst du es hin mit dem Einparken. Mathematik ist überall in unserem Alltag. Wenn man sich darüber bewusst ist, entwickelt man auch eher ein Interesse dafür. Oft hört man Schüler sagen: Ja, Mathematik mache ich jetzt nur für die Schule, für meine Prüfung und danach brauche ich das nie wieder. Ich glaube sinnvoll ist, diese Transferleistung zwischen Zahlen und Leben stärker aufzuzeigen. Ich habe viele Sprachen gelernt und auch Klavier gespielt, beides war für mich auch sehr mathematisch. Es heißt nicht umsonst: Gute Mathematiker können gut Klavier spielen oder andersrum. Diese Transferleistung Kindern klar zu machen, das ist glaube ich ganz wichtig und entscheidend. Meinem Sohn habe ich das Buch Agathe zählt die Sterne geschenkt. Ein Buch für Kinder im Kindergartenalter. Agathe geht durch die Welt und zählt Dinge beispielsweise die Punkte einer Giraffe.
Haben Sie selbst noch Vorbilder?
Ich habe kein Role Model. Ich brauche niemand konkretes, um das zu erreichen, was ich mir vorgenommen habe. Ich brauche nur mich selbst. Spannend finde ich Managerfrauen wie Janina Kugel, Chief Human Resources Officer und Mitglied des Vorstands der Siemens AG. Ich mag vor allem ihre Authentizität. Vera Schneevoigt, Chief Digital Officer bei Bosch Building Technologies finde ich mit ihrer Persönlichkeit, ihrer Offenheit und ihrer Bodenständigkeit und ihrer Position im Top-Management auch super. Sehr inspiriert hat mich auch eine ehemalige Kollegin Vidya Munde-Müller. Sie ist in Indien aufgewachsen, teilweise in den Slums. Sie hat es geschafft, zu studieren, nach Deutschland zu kommen und bei der Telekom zu arbeiten. Mittlerweile hat sie ihr eigenes Start-up „Givetastic“ aufgebaut, um KI-untersützt Empfehlungen für Spenden zu machen, basierend auf den eigenen Interessen. In jeder Phase des Lebens ist es für mich aber jemand anderes, der mich inspiriert.
Warum würden Sie Mädchen oder Frauen die IT-Branche empfehlen?
Generell ist die IT super als Branche schon allein wegen ihrer Familienfreundlichkeit und der Flexibilität. Diese Flexibilität ist für mich persönlich aktuell super wichtig, gerade als Mutter. Wenn mein Sohn beispielsweise einmal krank ist, kann ich ohne Probleme von Zuhause aus arbeiten. Mobiles Arbeiten ist auch super für Menschen, die vielleicht die eigenen Eltern betreuen müssen. Wahrscheinlich werden die Ärzte in der Zukunft auch mit einem Roboter operieren, vielleicht sogar von Zuhause aus, aber soweit sind wir noch nicht. Ein weiterer wichtiger Pluspunkt ist die Vielfältigkeit der Tech-Branche. Die digitale Transformation und Digitalisierung erreicht immer mehr Arbeits- und Lebensbereiche: Alles basiert auf IT. Wenn ich zum Beispiel Linguistik studiert habe, kann ich jetzt Dialoge für Chatbots schreiben. Wenn ich Anthropologe bin, kann ich die Mensch-Maschine-Interaktion mitgestalten. Es gibt inzwischen keine Trennung mehr in dem Sinne, das ist IT, das ist keine IT, alles ist IT. Die Frage, die ich mir als junger Mensch stellen sollte, ist nur: Von welcher Seite komme ich? Was sind meine inhaltlichen Interessen und wie kann ich mich einbringen in ein IT-Umfeld?
Wir möchten gerne auch Ihre Aspekte und Fragen in die Diversity-Debatte einbringen. Welche Fragen sollen wir unserer nächsten Interview-Partnerin stellen?
Studien belegen, dass Unternehmen mit Diversity innovativer und erfolgreicher sind. Diversity bringt eben auch einen finanziellen Mehrwert. Wie ist es aus Ihrer Sicht zu erklären, dass der Großteil der Unternehmen trotzdem noch nicht divers genug ist?
Vielen herzlichen Dank für das Interview!
Für unsere Serie Frauen in der Tech-Branche suchen wir weitere spannende Interview-Partnerinnen. Kontaktieren Sie uns gerne bei Interesse. Weitere Informationen zum Thema Frauen in der Tech-Branche finden Sie in unserer Pressemitteilung und im Kompetenzbereich New Work