Von Nils Klute, IT-Fachredakteur und Projektmanager Kommunikation bei EuroCloud Deutschland
Wertschöpfungsnetzwerke orchestrieren, um neue Geschäftsmodelle zu realisieren und nachhaltiger zu produzieren – genau dafür realisiert das Gaia-X-Federation-Services-Projekt (GXFS) den Nukleus an Software für Gaia-X. Warum Europa Gaia-X braucht, darüber diskutierten Klaus Ottradovetz von Atos, Ernst Stöckl-Pukall vom Bundeswirtschaftsministerium und Harald A. Summa vom eco Verband jetzt auf der GXFS Connect in Berlin.
Gaia-X liefert. „Wir veröffentlichen funktionierende Software“, sagte Andreas Weiss, Leiter Digitale Geschäftsmodelle beim eco – Verband der Internetwirtschaft. Und Gaia-X zielt aufs große Ganze. „Gaia-X ist das Werkzeug für Europas Datenökonomie“, sagte Peter Kraemer vom Gaia-X Hub Germany. Warum die vernetzte und verteilte Dateninfrastruktur dafür notwendig ist: „Weil Gaia-X beispielsweise das Rechtsregime harmonisiert, Prüfverfahren beschleunigt und Geschäftsprozesse übergreifend automatisiert“, sagte Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender beim eco Verband. „Nur so kann die Datenwirtschaft überhaupt in Fahrt kommen.“ Wie schnell Europas Digitalökonomie bereits ist, darüber diskutierten die Expert:innen jetzt auf der GXFS Connect 2022 in Berlin.
Gaia-X braucht europäischen Markenkern
Egal, ob einzelne Firma, Konzernverbund oder komplette Volkswirtschaft, Automobil-, Internet- oder Cloudbranche – um unterschiedliche Anforderungen und unternehmerische Interessen zu harmonisieren, braucht Gaia-X vor allem eines: „Einen europäischen Markenkern“, sagte Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Und das auch, um Ökonomie und Ökologie auszutarieren: „Nachhaltigkeit ist werteorientiert“, sagte Alexander Rabe, Geschäftsführer beim eco Verband. So setzt Gaia-X auch eine ebenso wertorientierte Kultur der Zusammenarbeit voraus. Denn: „Gaia-X ist kein IT-Projekt“, sagte Roland Fadrany, COO bei Gaia-X AISBL. „Stattdessen codieren wir europäische Haltung und Souveränität in Software.“ Eine Software, die jetzt erstmals vorliegt: Das vom eco Verband geleitete GXFS-Projekt realisiert einen Nukleus an offenen Diensten, auf dem alle datengetriebenen Produkte aufsetzen werden. Auf dem zweitägigen Event ließen sich die rund 500 Gäste vor Ort und im Livestream die Möglichkeiten präsentieren.
Paneldiskussion: Gaia-X ist das Rückgrat der Digitalzukunft Europas
Europas Wertschöpfungsnetzwerke digital souverän orchestrieren, nicht nur, um Geschäftsmodelle zu realisieren, sondern nachhaltiger zu produzieren: „Gaia-X ist ein Koordinierungsmeisterstück“, sagte Ernst Stöckl-Pukall, Referatsleiter für Digitalisierung und Industrie 4.0 beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. „Wir sind vor der Pandemie gestartet, haben uns später die Augen in Videokonferenzen eckig geguckt“, sagte Harald A. Summa, Hauptgeschäftsführer beim eco Verband. Keine leichte Aufgabe: „Weil Gaia-X ein multidimensionales Problem löst“, sagte Klaus Ottradovetz, Distinguished Expert Cloud & IoT Platforms bei Atos. Ein Problem, das alle Länder, Unternehmen und Branchen haben, die Werte aus Daten schöpfen möchten. Gemeinsam diskutierten die drei Experten aus Verwaltung, Internet- und Digitalwirtschaft, warum die Infrastrukturen und Services von Gaia-X das Rückgrat unserer Zukunft sind.
Gaia-X gelingt kaum über Nacht
„Gaia-X ist bereits weit gekommen und die erste Software ist da“, sagte Stöckl-Pukall, „aber unsere Vision haben wir noch nicht realisiert.“ Woran das liegt: „Wer mit Steuergeldern arbeitet, muss sich an Vorgaben halten, was zeitaufwändig ist.“ Summa: „Corona hat uns dazu gezwungen, unser Know-how virtuell zu domptieren.“ Was dabei geholfen hat: „Ich bin gebürtiger Optimist“, sagte Summa, „und ich spreche aus Erfahrung.“ So hatte Summa in den 1990er Jahren Deutschlands Wirtschaft erstmals mit dem Internet zusammengebracht. „Niemand erkannte damals die Chancen des World Wide Web“, sagte Summa. Nicht anders heute: „Wer alle Wertschöpfungsketten Europas digital zusammenbringen möchte, dem gelingt auch das kaum über Nacht.“ Was einen an den Erfolg glauben lässt: „Der Blick ins voll besetzte Publikum“, sagte Ottradovetz, „die Software und die Menschen, die damit arbeiten werden, sind heute hier.“
„Wenn wir nicht mehr über Gaia-X diskutieren müssen, sind wir am Ziel“
Egal, ob Fragen der Compliance, Governance, Technologie oder Infrastruktur: „Jeder soll mit seinen Daten das machen können, was er möchte“, sagte Stöckl-Pukall. Dafür schließt Gaia-X Informationssilos auf und lässt Datenräume zusammenwachsen. Was dabei für die Politik im Fokus steht: „Nicht Gaia-X selbst, sondern alles, was es ermöglichen wird.“ So verschmilzt beispielsweise die Automobilindustrie ihre Informationsflüsse im Projekt Catena-X, um mit weniger Ressourcen nachhaltiger zu produzieren. Nicht anders Marispace-X: Das Projekt verbindet unterschiedliche maritime Datenökosysteme, um zum Beispiel alte Munition aus dem Meer zu bergen. „Gaia-X ist der zentrale Baustein“, sagte Stöckl-Pukall, „wenn wir nicht mehr über Gaia-X diskutieren müssen, sind wir am Ziel.“
Gaia-X: Dezentral, souverän und resilient
Eine Diskussion, die bislang auch deswegen noch nötig ist, weil viele den Erfolg der Initiative in Frage stellen. „Zweifler wird es immer geben“, sagte Summa, „und das genauso wie die Notwendigkeit, sich selbst zu hinterfragen.“ Beispiel Gaskrise: „Zentrale Systeme erzeugen Abhängigkeiten. Und Abhängigkeiten können zu Risiken werden“, sagte Summa. Dezentrale und verteilte Ansätze sind dagegen souveräner und resilienter. „Gaia-X ist da kein Unterschied“, sagte Summa, „die föderierten GXFS-Dienste halten die Infrastruktur zusammen und diversifizieren alle Services genau so, wie es Anwendende und Anbietende benötigen.“
eco Verband startet eigene Gaia-X Roadshow
Stöckl-Pukall: „Monopole müssen derartige Herausforderungen nicht lösen.“ Summa: „Hier diktieren Einzelne die Bedingungen für alle.“ „Europas Stärke ist Union“, sagte Stöckl-Pukall. „Schließlich bietet Gaia-X allen die gleichen Chancen“, sagte Ottradovetz, „jede:r kann mitarbeiten und seine Stimme einbringen.“ Zwar mache das die Entwicklung herausfordernd. Aber: „Nur so entsteht ein Ergebnis mit hoher Relevanz für alle Teilnehmenden.“ Und: „Nur so wird die Sache ein Erfolg“, sagte Summa. Denn: „Genauso, wie ich vor 25 Jahren die Freundinnen und Freunde des Internets im eco Verband zusammengeschlossen habe, muss Gaia-X jetzt die Freundinnen und Freunde der Datenökonomie verbinden.“ Um das zu erreichen, versammelt der eco Verband in den nächsten Monaten die deutsche Gaia-X Community auf einer eigenen Gaia-X Roadshow (wie zum Beispiel am 20. Oktober in München und am 30. November in Frankfurt).
Krisen managen und Zukunft vorantreiben
Fest steht auch: „Gaia-X ist das größte industriepolitische Projekt des Jahrzehnts“, sagte Rebekka Weiß, Leiterin Vertrauen & Sicherheit beim Bitkom. Warum die Arbeit notwendig ist, zeigen Zahlen von Gartner: Demnach liegt der weltweite Marktanteil von nicht-europäischen Hyperscalern aktuell bei mehr als 80 Prozent. „Deutschland und Europa brauchen digitale Souveränität“, sagte Dr. Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin beim Bundeswirtschaftsministerium. Dabei dürfe das Drängende nicht den Blick für das Wichtige verstellen. Denn egal, ob Energie- oder Datenmonopole: „Zwar müssen wir heute Krisen managen, aber mir müssen auch die Zukunft vorantreiben.“ Die Softwarewerkzeuge, die das GXFS-Projekt entwickelt hat, liegen öffentlich in Gitlab ab: https://gitlab.com/gaia-x/data-infrastructure-federation-services
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Auf dem Bild: (v.l.n.r.) Moderatorin Claudia van Veen, Klaus Ottradovetz (Atos), Ernst Stöckl-Pukall (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) und Harald A. Summa (eco Verband)