21.06.2024

„Künstliche Intelligenz allein macht nicht glücklich“

Wie können Tools der künstlichen Intelligenz Mitarbeitende so unterstützen, dass diese glücklicher und produktiver werden? Was Unternehmen bei der Einführung von KI-Tools beachten müssen, darüber sprachen wir mit Prof. Dr.-Ing. Verena Nitsch. Sie lehrt und forscht am Institut für Arbeitswissenschaft der RWTH Aachen und leitet dort das Arbeitswissenschaftliche Kompetenzzentrum AKzentE4.0.

Frau Prof. Nitsch, wie profitieren Mitarbeitende von der Einführung von Tools künstlicher Intelligenz?
Künstliche Intelligenz bietet neue Chancen, für Unternehmen genauso wie für die dort Beschäftigten. Wie diese jedoch konkret profitieren, das hängt sehr stark von der Arbeitsgestaltung ab und davon, wie Arbeit mit der Einführung von KI neu organisiert wird. Neue Technologien wie KI sind ja nicht per se besser für die Mitarbeitenden, zumal sie auch dafür genutzt werden können, die Aufgaben weiter zu verdichten und das Stresslevel zu erhöhen. Die Einführung von KI alleine reicht nicht aus, um Mitarbeitende glücklicher zu machen.

Aber heißt es nicht, KI kann repetitive Aufgaben übernehmen und so Mitarbeitende entlasten?
Das stimmt. Viele Aufgaben lassen sich an die Künstliche Intelligenz übertragen, theoretisch gibt es mehr Freiheiten für kreative Tätigkeiten. Diese Freiheiten den Menschen tatsächlich zu ermöglichen, ist jedoch eine arbeitsorganisatorische Entscheidung. Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitenden diese Freiräume explizit einräumen, statt zu entscheiden, dass Mitarbeitende die gewonnene Zeit dafür nutzen sollen, mehr repetitive Aufgaben zu übernehmen.

Besteht diese Gefahr denn?
Ich denke schon, denn ein Unternehmen oder eine Organisation führt KI-Tools ja in erster Linie aus dem Grund ein, Prozesse effizienter zu gestalten und am Ende Kosten zu senken. Das kann jedoch auch zu einer Arbeitsverdichtung führen: Die Menschen müssen mehr Tätigkeiten in kürzerer Zeit erledigen, weil die Technologie das hergibt. Tatsache ist doch: Statistiken zeigen einen kontinuierlichen Anstieg von Erkrankungen wie Burnout und Depressionen in der Bevölkerung.

Wie lässt sich dem entgegenwirken?
Die Menschen brauchen entsprechende Kompetenzen, um mit der neuen Situation umzugehen. Um diese Kompetenzen aufzubauen, brauchen sie Freiräume. Dazu gehört auch zu lernen, gut mit Deadlines und Stress umzugehen. Das muss bewusst entschieden und kommuniziert werden.

Sind sich Unternehmen dieser Herausforderungen bewusst?
Viele Unternehmen berücksichtigen, dass sich Prozesse durch KI verändern und bereiten ihre Mitarbeitenden gut darauf vor. Bei vielen mittelständischen Unternehmen ist das Bewusstsein vorhanden, Mitarbeitende in den Fokus zu rücken, weil hier der Ausfall einzelner Leute schwerer wiegt. Manche Entscheidungsträger hören jedoch nur auf Anbieter der neuen Technologie, die versprechen, dass sich Investitionen lohnen, weil sich damit Zeit sparen lässt. Welche Auswirkungen das auf die Menschen hat, das wird zum Teil vernachlässigt.

Wie sollten Unternehmen sich auf die Einführung von KI-Tools vorbereiten?
Das erproben wir in unserem Arbeitswissenschaftlichen Kompetenzzentrum AKzentE4.0: Es ist wichtig, Experimentierräume zu schaffen und Unternehmen Hilfestellung zu geben, um Arbeitsverdichtung und Informationsüberflutung entgegenzuwirken. Entscheidungswege werden immer komplexer und intransparenter für Mitarbeitende. Daher bringen wir Technikentwickler mit Unternehmen zusammen und beraten hinsichtlich der Frage, welche Auswirkungen sich für Beschäftigte ergeben können und wie diese von der Technik profitieren könnten. In unserem Kompetenzzentrum sind derzeit 16 Unternehmen organisiert, hauptsächlich aus dem produzierenden Gewerbe und Handwerk, sowie fünf Forschungseinrichtungen und Multiplikatoren wie die Handwerkskammer und die Stadt Aachen. Die Ergebnisse, das Wissen und das Know-how stellen wir öffentlich zur Verfügung.

Welche konkreten Erkenntnisse haben Sie bereits gewonnen?
Eine Sache, die wir immer wieder sehen: Partizipation ist gut, wir sollten Menschen frühzeitig mit einbinden und bei der Gestaltung ihrer Arbeit mitreden lassen. Das ist auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll. Ausfälle können eine Folge schlechter Arbeitsgestaltung sein und wenn Fach- und Führungskräfte ausfallen, dann kostet das viel Geld. Wir halten Organisationen dazu an, eine ehrliche Rechnung zu machen: Wieviel Zeit geht tagtäglich verloren, wenn neue Technologien nicht intuitiv bedienbar sind, etablierte Prozesse nicht mehr funktionieren und die Motivation der Mitarbeitenden sinkt? Hier wird viel Arbeitszeit verschenkt. Wir plädieren dafür, KI so einzuführen, dass sich der Job auch für die Beschäftigten zum Positiven ändert und nachweislich Nutzen stiftet. So entstehen Freiräume für andere Tätigkeiten, die kreativer sind und Beschäftigten die Möglichkeit gibt, sich weiterzuentwickeln.

Frau Prof. Nitsch, vielen Dank für das Interview!

„Künstliche Intelligenz allein macht nicht glücklich“