Berlin, 09.12.2014 – Seit die US-Regierung im März angekündigt hat, die Aufsicht über ICANN und damit über die IANA-Funktionen abgeben zu wollen, wird weltweit diskutiert, an wen die IANA Stewardship übergehen und wie eine Kontrolle über ICANN zukünftig aussehen soll. ICANN und eco luden daher zur zweiten Ausgabe des eco Zukunftsdialogs, um den aktuellen Stand zu analysieren und mögliche Wege zu diskutieren.
Protocols, Names & Numbers
Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, kurz ICANN, ist für drei zentrale Funktionen des Internets zuständig: Die Verwaltung und Vergabe der Protokolle wie IPv4 und IPv6, der Webadressen – den so genannten Top-Level-Domains – sowie der IP-Adressen.
Nach der Begrüßung durch die eco Vorstände Prof. Michael Rotert und Oliver Süme sowie ICANN Vice-President Europe Jean-Jaques Sahel, ging es gleich in die Diskussion. Diese leitete Thomas Rickert, seines Zeichens eco Director Names & Numbers, Mitglied des GNSO Council sowie Co-Chair der Enhancing ICANN Accountability Cross-Community Working Group.
Die Vertreter der technischen Community Axel Pawlik (Managing Director, RIPE NCC) und Hans-Peter Dittler (Vorstand, ISOC Deutschland) stellten gleich zu Beginn des Zukunftsdialogs klar, dass die Aufsicht über Protokolle und IP-Adressen bei weitem nicht so politisch brisant sei, wie die Vergabe der Webadressen. Schließlich sei man mit dem aktuell angewandten Prozessen zufrieden und sehe hier wenig Bedarf für tiefgreifende Veränderungen.
ICANN, IANA & NTIA
Die drei genannten Funktionen sind bei ICANN der so genannten Internet Assigned Numbers Authority (IANA) zugeordnet. Diese untersteht derzeit noch dem US-Handelsministerium. Wenn ICANN also neue Top Level-Domains delegiert, läuft der Entscheidungsprozess aktuell über die zuständige Behörde NTIA, der National Telecommunications and Information Administration. Thomas Rickert wies aber darauf hin: „Die US-Regierung ist mit dieser Machtposition bisher sehr verantwortungsvoll umgegangen und hat diese Funktion weitestgehend ausschließlich in notarieller Funktion ausgeübt.“ Trotzdem werden im Rahmen der Stewardship Transition zunehmend Stimmen laut, die eine umfassende Reform von ICANN fordern.
ICANN Accountability – Multi-Stakeholder außer Kontrolle?
ICANN soll – so die Vorgabe der US-Regierung – ein internationales Gremium werden, das auf dem Multi-Stakeholder-Modell basiert, um die Vielfalt der Interessen zu bündeln. „Darüber hinaus,“ erklärte Wolf-Ulrich Knoben, „soll die Kontrolle nicht an andere Regierungen übergehen.“ Doch wie gestaltet man eine solche Institution mit Mechanismen und Regeln für Checks & Balances aus? Wem ist ICANN noch rechenschaftspflichtig, wenn die US-Aufsicht wegfällt? Auch wenn hier die Meinungen noch auseinander gehen, bringt es Wolfgang Kleinwächter, Mitglied des ICANN-Boards, auf dem Punkt: „ICANN soll kein unkontrolliertes Eigenleben wie die FIFA oder das Internationale Olympische Komitee entwickeln.“
Schließlich prallen bei der Vergabe von Top-Level-Domains eine Vielzahl von Interessen aufeinander, wie zuletzt die Diskussion um die Endung .vin bzw. .wine gezeigt hat. Als weitere deutsche Vertreterin des 20-köpfigen ICANN-Boards diskutierte daher neben Kleinwächter ebenfalls Erika Mann mit Hubert Schöttner vom BMWi, der bei ICANN im Regierungsbeirat GAC sitzt, und Dr. Jörg Schweiger von der DENIC eG (.de) als technischen Operator einer Top-Level-Domain über die Fragen der Transition und Accountability.
2015 – Das Jahr der Stewardship Transition
Die NTIA hat die ICANN-Community aufgefordert, bis zum Sommer 2015 einen Vorschlag für die Ausgestaltung der Stewardship Transition auszuarbeiten. Die bereits genannte Cross Community Working Group hat daher Anfang Dezember einen ersten Entwurf vorgestellt, der bis zum 22. Dezember öffentlich kommentiert werden kann.
Dieser Vorschlag sieht vor, dass eine weitere Organisation ins Leben gerufen wird, damit diese über ICANN wacht. „Das kann kurzfristig eine Lösung sein. Jedoch muss man früher oder später auch dieses Gremium beaufsichtigen“, merkt Kleinwächter an. „Dieser Aufwand ist in Anbetracht der überschaubaren Kompetenzen nicht zu rechtfertigen“, führt er fort. Es müsse aber anstelle der Aufsicht durch die NTIA „eine Art Damoklesschwert“ installiert werden, damit handelnde Akteure für ihre Entscheidungen tatsächlich zur Rechenschaft gezogen werden können.
Außerdem standen im Rahmen der Diskussion Fragen der Rechtsform, der Ausgestaltung sowie des Standorts mit der damit verbundenen Gerichtsbarkeit einer solchen Organisation im Raum, die – wenn überhaupt – nicht kurzfristig beantwortet werden können.
Es gibt also noch genug Klärungsbedarf, was die ICANN-Community im so genannten „Workstream 1“ erarbeiten und festlegen muss, damit der Vorschlag für die Transition im Sommer 2015 an die NTIA übergeben werden kann. Für den „Workstream 2“ – also die Aufgaben, die erst nach der Transition angegangen werden sollen – stehen nämlich umfangreiche Forderungen nach strengeren Compliance-Regeln, internen Audits sowie einer Neuordnung der Haushaltszusammenstellung auf der Agenda.
Vor dem Hintergrund der verschiedenen Positionen und Meinungen fragte Rickert daher abschließend in die Runde: „Schaffen wir den Übergang bis September 2015?“ Hier herrschte weitgehend Konsens, dass man die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen sollte.
Das Names & Numbers Forum wird gemeinsam mit dem Bereich Internet Governance des eco Hauptstadtbüros den Zukunftsdialog 2015 fortführen und über die weiteren Entwicklungen informieren.
Weitere Informationen
- Weitere Bilder: In unserem Flickr-Album
- eco Zukunftsdialog II: Die Agenda
- eco Zukunftsdialog II: Nachbericht auf golem.de
- eco Zukunftsdialog I: Der Nachbericht