26.04.2022

Nachhaltigkeitsanforderungen bei Zertifizierungen für Rechenzentren

Am 26. April 2022 fand die virtuelle Sitzung der eco Kompetenzgruppe Data Center Infrastruktur unter Leitung von Dr. Béla Waldhauser statt. Im Mittelpunkt des Expertenaustauschs stand die Frage, welche Anforderungen an Zertifizierungen in Bezug auf einen nachhaltigen Rechenzentrumsbetrieb zu stellen sind, welche Metriken eine ganzheitliche und objektive Bewertung erlauben sowie die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Zertifizierungen und geographischer Regionen. Im Rahmen von drei Impulsvorträgen (Jens Gröger, Öko Institut; Joachim Astel, noris network AG; Marc Wilkens, TÜViT) sowie der sich anschließenden Diskussion unter den Mitgliedern der Kompetenzgruppe konnten die angesprochenen Themenpunkte eingehend erläutert und diskutiert werden:

 

1. Vorstellung des Überarbeitungsprozesses sowie Weiterentwicklung des Blauen Engel für Rechenzentren

Der Blaue Engel existiert für Rechenzentren bisher in zwei Varianten: Seit 2011 als Blauer Engel für energieeffizienten RZ-Betrieb (DE-UZ 161) sowie seit 2020 als Blauer Engel für klimaschonende Colocation-Rechenzentren (DE-UZ 214). Zur Weiterentwicklung und zur Zusammenführung der bisherigen getrennten Umweltzeichen hat das Umweltbundesamt das Forschungsvorhaben „Weiterentwicklung Blauer Engel für Rechenzentren“ beauftragt, welches vom Öko-Institut e.V. geleitet wird. Die Vergabekriterien beider Umweltzeichen sollen hierbei neu kalibriert und zu einem modularen Umweltzeichen zusammengefasst werden. Um Best-Practice-Beispiele zu berücksichtigen und Anregungen aus der Praxis einzubeziehen, soll die Überarbeitung im engen Austausch mit Betreibern, Planern sowie Kunden von Rechenzentren stattfinden. Ziel der Neuausrichtung soll hierbei eine bessere Akzeptanz und Verbreitung des Umweltzeichens sein.
Die Vergabekriterien des neuen Umweltzeichens sind abhängig vom Zuständigkeitsbereich des Antragstellers in vier Bereiche unterteilt.
Vier Zuständigkeitsbereiche:

  • Kriterien, die das Gebäude selbst betreffen
  • Kriterien für Betreiber von Gebäudetechnik (z.B. Stromversorgung, Kühlsysteme)
  • Kriterien für Betreiber von Informationstechnik (z.B. Server, Speicher, Netzwerk, iPDU‘s)
  • Kriterien an Monitoring, Transparenz und Energieeinsparung

Die Weiterentwicklung des Umweltzeichens läuft aktuell bis Dezember 2022; eine erste überarbeitete Veröffentlichung wird für das 1. Quartal 2023 erwartet; die Beratungsförderung ist für den Zeitraum von April 2022 bis Dezember 2023 angedacht.

 

2. Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement aus Sicht eines IT-Dienstleisters

Im europäischen Vergleich ist Deutschland eines der kostenintensivsten Länder bzgl. der Stromabnahme. Dies hat zur Folge, dass deutsche Rechenzentren bereits seit vielen Jahren sehr energieeffizient betrieben werden müssen, um international konkurrenzfähig bleiben zu können. Im vorgestellten Beispiel setzt der Betreiber an mehreren Standorten eine sogenannte Kyoto Cooling Lösung ein. Systeme wie Kyoto Cooling basieren auf der indirekten freien Kühlung mit Außenluft mittels sich drehender Wärmetauscher. Diese Systeme können dabei zu einem großen Teil des Jahres ohne zusätzliche Erzeugung von Kälteleistung betrieben werden.In Bezug auf die Abwärmelast stehen viele Betreiber noch vor der Herausforderung ihre Abwärme (sofern überhaupt möglich) in Hochtemperatur-Wärmenetze älterer Generationen einzuspeisen. Sog. „kalte Nahwärmenetze“ neuester Generation (5.0) hingegen erlauben bereits einen Betrieb von <40°C; dies kommt den durchschnittlichen Abwärme-Temperaturen aus Rechenzentren von ca. 35°C sehr nahe, so dass ggfls. eine energie- und kostenintensive Anhebung des Temperaturniveaus mittels Wärmepumpen ganz entfallen kann.
Aus der Historie heraus begründet sich der höherenergetische Betrieb von Wärmenetzen älterer Generationen i.d.R. durch die Einspeisung mittels Heizkraftwerken wie z.B. Müllverbrennungsanlagen. Ganzheitliche, Sektor koppelnde Energiesysteme, wie sie in Skandinavien häufig zum Einsatz kommen, bieten hier jedoch deutliche Vorteile für eine zukünftige verstärkte Nutzung von Rechenzentrumsabwärme.Eine weitere Herausforderung stellen aktuell Vorgaben in Bezug auf Hochverfügbarkeit dar, wie Sie für Unternehmen in den Bereichen kritischer Infrastrukturen bzw. im IT Finanzsektor z.B. durch BaFin-Vorgaben vorherrschen. Eine 72-stündige Autarkie ist z.Zt. oftmals nur durch dieselelektrische Notstromkonzepte umsetzbar. Eine flächendeckende Verfügbarkeit CO2-neutraler Kraftstoffe bzw. entsprechend alternativer Energiespeicherlösungen käme hier dem Wunsch der RZ-Industrie entgegen. Auch im Bereich der Wasserstoff-Technologien sind noch weitere Potenziale vorhanden. Dies betrifft sowohl den Bereich der technischen Anlagenentwicklung als auch der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff auf breiter Basis.

 

3. Reifegradmodelle zur Ressourceneffizienz – TSE.Standard und die EN50600-5

Die Energieeffizienz gewinnt, angestossen durch den Green Deal der EU, aktuell rasant an Bedeutung. Die digitale Zukunft Europas soll mit klimaneutralen Rechenzentren gestaltet werden. Für die Bestimmung der Energieeffizienz werden daher seit 2012 immer wieder entsprechende Standards und Kennwerte neu überarbeitet. Aktuell im Fokus stehen hierbei Kennwerte in Bezug auf die CO2-Neutralität und den Wasserverbrauch (z.B. Carbon Usage Efficiency und Water Usage Efficiency). International findet das Thema Wasserverbrauch für IT bereits große Beachtung, insbesondere in Ländern wie z.B. Spanien und Indien.Teil 5 der neu überarbeiteten EN50600 bietet ein entsprechendes punktebasiertes Reifegrad-Modell (Maturity Model) zur Evaluierung an, welches sich auf die Umweltauswirkungen (Energiemanagement und Umweltverträglichkeit) bezieht. Der TSE.Standard 2.0 greift diese Systematik auf und unterscheidet die folgenden Hauptbereiche, welche in jeweils unterschiedliche Reifegrade (Level1-4) unterteilt sind:

  • Informations- und Kommunikationssysteme (ITK)
  • Infrastruktur (INF)
  • Management (MGM)

Ziel der EN50600-5-1 ist es dabei:

  1. ein Rahmenwerk anzuwenden, an dem sich Rechenzentrumsbetreiber bei der Auslegung und hinsichtlich der Praktiken für das Rechenzentrum orientieren können
  2. den auf ihr Rechenzentrum zutreffenden Reifegrad zu bestimmen
  3. einschlägige Handlungsempfehlungen zu Bereichen mit Verbesserungspotenzial heranzuziehen und die zu erwartenden Vorteile aufzuzeigen, die den Einsatz der erforderlichen Ressourcen rechtfertigen
  4. einen Maßnahmenplan zum Erreichen eines höheren Reifegrads zu entwickeln.

Die eco Kompetenzgruppe Data Center Infrastruktur wird auch zukünftig weitere Formate zum Expertenaustausch mit dem Fokus Nachhaltigkeit und Energieeffizienz anbieten. Informationen über Themen und Termine erhalten Sie auf der Website der Kompetenzgruppe.

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