18.07.2014

Netzpolitische Halbjahresbilanz: Aktionismus statt digitaler Masterplan

  • Vorratsdatenspeicherung: EuGH Urteil eindeutig – Bundesregierung uneins
  • Internationale Netzpolitik: Fokus nur auf Deutschland
  • Digitale Infrastruktur: Netzneutralität und Breitbandausbau kommen nicht voran
  • IT-Sicherheit und Datenschutz: EU harmonisiert – Deutschland plant Alleingang

Das Parlament hat sich vergangene Woche in die Sommerpause verabschiedet, rund ein halbes Jahr Große Koalition liegen hinter uns. Was hat sich in diesem ersten halben Jahr im Bereich Internet- und Netzpolitik getan? eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e. V. zieht Bilanz und wirft einen Blick auf die wichtigsten netzpolitischen Entwicklungen und Entscheidungen der vergangenen sechs Monate. Das Fazit von Oliver Süme, eco Vorstand Politik und Recht: „Bislang ist es der Bundesregierung nicht gelungen, ihre im Koalitionsvertrag angekündigten ambitionierten Pläne in Form einer strategischen und kohärenten „Digitalen Agenda“ umzusetzen.“ Zwar fühlen sich in dieser Legislaturperiode so viele Akteure und Ministerien wie nie zuvor für Netzpolitik zuständig. Konkrete Weichenstellungen oder politische Entscheidungen gab es dennoch kaum. „Nach wie vor fehlt der rote Faden. Die Bundesregierung steckt im netzpolitischen Konzeptstau“, so Süme. Die wenigen grundlegenden Entscheidungen in den vergangenen Monaten wurden hauptsächlich von Gerichten getroffen – zum Beispiel das EUGH-Suchmaschinen-Urteil, das BGH-Urteil zur Anonymität im Netz oder aktuell der Streit um das Leistungsschutzrecht. „Es gibt aktuell vielleicht kein anderes Politikfeld mit einem so großen Gestaltungsspielraum wie die Internet- und Netzpolitik. Diesen Gestaltungsspielraum füllt der Gesetzgeber derzeit nicht aus. Ich vermisse eine ganzheitliche Perspektive darauf, wie die Bundesregierung den vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung künftig begegnen will.“

Vorratsdatenspeicherung: EUGH Urteil eindeutig – Bundesregierung uneins

Ein fast schon symptomatisches Beispiel für die netzpolitische Unentschlossenheit der Bundesregierung ist die Vorratsdatenspeicherung. Aus Sicht der deutschen Internetwirtschaft ein Instrument, dessen unbelegter Nutzen für die Strafverfolgung in keinem Verhältnis zum damit verbundenen Eingriff in die Grundrechte der Bürger sowie den zu erwartenden Kosten für die Internetwirtschaft steht. Der EUGH hat diese Einschätzung in seinem Urteil im April diesen Jahres bestätigt. In Deutschland könnte das Thema noch zum Koalitionsstreit führen: Während Justizminister Heiko Maas die Vorratsdatenspeicherung als erledigt ansieht, dringt Bundesinnenminister de Maizière weiter auf eine Neuregelung. eco fordert: Die Bundesregierung sollte sich endlich eindeutig gegen die Vorratsdatenspeicherung aussprechen und damit auch ein deutliches Signal auf europäischer Ebene setzen.

Internationale Netzpolitik: Fokus nur auf Deutschland

Auch bei der internationalen Netzpolitik hat die Bundesregierung Nachholbedarf. Gerade beim Thema Internet Governance besteht jetzt die Chance eine Führungsrolle zu übernehmen und beispielsweise die Neuorganisation der Internet-Verwaltung ICANN, deren Kontrolle die USA im März überraschend zur Verfügung gestellt hat, entscheidend mitzugestalten. Ebenfalls ist ein entschiedeneres Engagement der Bundesregierung bei der Aufklärung und Kontrolle der Tätigkeiten der Geheimdienste im Rahmen der Ausspäh- und Überwachungsaffäre erforderlich. Doch statt das Verhandlungsmandat zu nutzen und klare Positionen im Hinblick auf die europäischen und internationalen Entwicklungen sowie die erforderlichen Konsequenzen aus der Ausspäh- und Überwachungsaffäre zu ziehen und sich für die Durchsetzung europäischer Grundwerte im Netz einzusetzen, hat sich die Bundesregierung auf eine Schein-Debatte über eine nationale bzw. regionale Regulierung des globalen Netzes, zum Beispiel in Form eines „Schengen-Routing“ oder eines „europäischen Kommunikationsnetzes“, beschränkt, was zu einer Zersplitterung des Netzes führen könnte. Eine entsprechende gesetzliche Regelung scheint immerhin vom Tisch zu sein.

Digitale Infrastruktur: Netzneutralität und Breitbandausbau kommen nicht voran

Vielversprechend gestartet, dann in der Versenkung verschwunden – so lassen sich die Erfolge der Bundesregierung beim Thema Breitbandausbau zusammenfassen. Ein Schritt in die richtige Richtung war die eindeutige Ressortzuweisung beim Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Doch konkrete Ergebnisse oder auch nur die Ankündigung konkreter Maßnahmen stehen bislang aus. Bereits heute geht ein Viertel des deutschen Wirtschaftswachstums auf die Internetwirtschaft zurück und ihre Bedeutung wird in Zukunft voraussichtlich noch wachsen. Eine gut ausgebaute technische Infrastruktur sowie ein hochleistungsfähiges Breitbandnetz in Deutschland schaffen die Basis für einen starken Industrie- und Dienstleistungssektor. eco fordert die Bundesregierung daher auf, den Breitbandausbau energischer voranzutreiben und endlich auch Mittel aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Die Verfügbarkeit universeller Hochgeschwindigkeitsnetze könnte gleichzeitig auch die aktuelle Debatte um die sogenannte Netzneutralität beenden, die wesentlich aufgrund der Tatsache bestehender Kapazitätsengpässe geführt wird. Aus Sicht der Internetwirtschaft sollte Ziel jeglicher Regulierung im Bereich der Netzneutralität die Sicherstellung von Transparenz und Wettbewerb sein. Diskriminierung muss verhindert und allen Angeboten aus dem Netz ein gleichberechtigter Transport ermöglicht werden.

IT-Sicherheit und Datenschutz: EU harmonisiert – Deutschland plant Alleingang

Sicherheit ist die Basis für Vertrauen und Vertrauen ist die Voraussetzung für den Erfolg des Internet und vieler Unternehmen, deren Geschäftsgrundlage das Internet ist. eco begrüßt daher grundsätzlich die Pläne zur Erhöhung des Datenschutzes und der Datensicherheit im Netz, die Bundesinnenminister de Maizière kürzlich in Berlin vorgestellt hat. Mit Sorge sieht die Internetwirtschaft allerdings die Ankündigung des Ministers, unabhängig von den Gesetzesentwicklungen auf europäischer Ebene, jetzt national vorzupreschen. Ein IT-Sicherheitsgesetz als nationaler Alleingang wird nichts zur Rechtsklarheit beitragen, sondern nur zu bürokratischen Mehrfachvorschriften führen, die als Innovationsbremse wirken und zu Lasten der Wirtschaft gehen. Die Bundesregierung sollte sich stattdessen stärker für die Schaffung europäischer und internationaler Standards einsetzen und so ihre Vorreiterrolle für einen starken Datenschutz und IT-Sicherheit in einer digitalen Gesellschaft manifestieren.

Auch die Initiative der Bundesregierung für eine zügige Einigung bei der Datenschutz-Grundverordnung bewertet eco positiv. Ein gemeinsames, europäisches Datenschutzrecht kann ein Standortvorteil für die deutsche und europäische Internetwirtschaft darstellen, wenn ein gerechter, praxistauglicher und zukunftsfähiger Ausgleich zwischen Informations- und Meinungsfreiheit, Persönlichkeitsschutz und wirtschaftlicher Datenverarbeitung gefunden wird. Fraglich bleibt aber, inwieweit die jüngsten Vorschläge des Bundesinnenministers hierzu beitragen können. So widerspricht der Vorschlag für eine „Öffnungsklausel“, die es Mitgliedstaaten ermöglichen soll, über die Bestimmungen der Verordnung hinaus zu gehen, grundsätzlich dem ursprünglichen Ansatz für ein harmonisiertes, europaweit geltenden Datenschutzrecht. Eine Verbesserung der aktuellen Situation wäre somit nicht erreicht, vielmehr würde zusätzliche Rechtsunsicherheit geschaffen.