Fachgespräch der eco Kompetenzgruppen E-Commerce, New Work und Datacenter
Frankfurt, 23. März 2017 – Die Kompetenzgruppen E-Commerce, New Work sowie die Datacenter Expert Group des eco Verband trafen sich zu einem gemeinsamen Fachgespräch in den Räumen des DE-CIX Meeting Centers in Frankfurt am Main um bereichsübergreifend neuere Ansätze zu einer möglichen Ökobilanz zu diskutieren.
In der Internetwirtschaft wird das Thema „Ökologie“ angesichts des zunehmenden Verbrauchs an elektrischer Energie durch die wachsende Anzahl und die Leistung von Rechenzentren intensiver diskutiert. Ökologische Betrachtungen, gar Bilanzierungen, können sich aber nicht nur auf die Betrachtung eines einzelnen Aspekts beschränken. Im Bereich der Internetwirtschaft fehlen aktuell ganzheitliche Betrachtungen zur Ökosituation.
Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann, Leiter der Kompetenzgruppe E-Commerce ging in seiner Einleitung darauf ein, dass das Thema Ökobilanz bereits auf der Meta-Ebene durchaus nicht unumstritten sei, da bei ökologischen Aspekten der Internetwirtschaft lediglich der negative Aspekt der hohen Energieverbräuche in der Diskussion sei und die Internetwirtschaft daher bezüglich einer ökologischen Debatte doch eher zurückhaltend reagiere.
„Was wir versuchen sollten“, so Hofmann, „ist eine Gegenrechnung zu den reinen Energieverbräuchen aufzumachen und etwa Produkt- und Personenlogistik, Ressourcen-Verbrauch in der Bürolandschaft sowie vieles mehr unter den ökonomischen und ökologischen Gesamtwirkungen zu berücksichtigen.“
Energieeffizienz und Ökobilanz eines Rechenzentrums
Dr. Béla Waldhauser, Leiter der eco Datacenter Expert Group und CEO der Telehouse Deutschland GmbH eröffnete seinen Impulsvortrag mit dem Szenario „stellen Sie sich mal vor, das Internet würde eine Woche ausfallen“. Mit der Massenverbreitung der Mobiltelefonie und speziell der Verbreitung der Smartphones steige momentan die Internetnutzung massiv an. „Jeder App-Abruf am Handy verursacht einen vielfach höheren Stromverbrauch im Rechenzentrum als auf dem Endgerät“ – so Waldhauser. Auch der Fernseh-Konsum verlagere sich immer mehr auf das Internet.
Es habe jedoch erkennbar ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Die genannten steigenden Nutzer-Zahlen werden durch die Privatnutzer und nicht mehr durch einige wenige Unternehmen verursacht. Dr. Waldhauser sagte voraus, dass eine Erhöhung der Bandbreite immer im nachfolgenden Schritt eine Ausweitung der Anwendungen nach sich ziehen wird.
Auch Cloud-Anwendungen verzeichnen überdurchschnittliche Wachstumsraten: Die Datenvolumina verdoppeln sich jedes Jahr. Die Colocation Industrie hat seit Jahren zweistellige Zuwachsraten. Der Energiebedarf der Server und Rechenzentren steige auch in Deutschland stetig an. „Der relative Verbrauch kann jedoch in den nächsten Jahren immer weiter optimiert werden, so dass die Rechenzentren immer effizienter werden“, so Waldhauser.
Energieeinsparungspotentiale ergeben sich durch Smart Home, Smart City, Smart Factory und generell durch „Industrie 4.0“. Laut einer Studie von Fraunhofer IZM und Borderstep aus dem Jahr 2015 wird der jährliche Internet induzierte Energiebedarf – gemessen in TWh/a – bis zum Jahr 2020 abnehmen wofür die Bereiche Arbeitsplatz und Haushalt verantwortlich sind.
Ideensammlung zum Energiesparpotential der grünen neuen Arbeitswelt
Lucia Falkenberg, Leiterin der eco Kompetenzgruppe New Work, appellierte an die Teilnehmer, die positiven Aspekte der Digitalisierung für die Arbeitswelt zu sehen. „Die Internetwirtschaft hat den Ruf“ so Falkenberg weiter, „lediglich dazu zu führen, dass Menschen durch Maschinen ersetzt würden, was zu einer Massenarbeitslosigkeit führe.“ Es gebe jedoch gegenläufige Studien, die davon ausgehen, dass die Digitalisierung eher neue Arbeitsplätze schafft. Es werde zukünftig viele neue Berufsbilder und Arbeitsplätze geben, die heute noch nicht bekannt sind.
Im Rahmen einer von Natalie Haller, eco e.V., durchgeführten Delphi Befragung konnten die Teilnehmer des Fachgesprächs zu folgenden vier Thesen Stellung nehmen:
- Reduktion der Ressourcenverbräuche durch die zunehmende Akzeptanz papierloser Prozesse („Papierloses Büro“) im Büroalltag und in der Verwaltung. Nicht nur das Vermeiden des landläufigen „Ausdruck-Reflexes“ trägt dazu bei, sondern auch Szenarien und Prozesse mit elektronischen Dokumenten – wie E-Invoicing und E-Payment – und der klassischen E-Mail ähnlichen Services.
- Reduktion der Personenlogistik durch Ersatz von Reisen durch Telepräsenz. Conferencing-Systeme haben eine Qualität erreicht, die das verbindliche Verhandeln auch mit mehreren Personen „online“ ermöglichen.
- Reduktion der Personenlogistik durch New Work – flexible und Home-Office-Arbeitsszenarien. Die Erkenntnisse und Fortschritte in der Organisation der Telearbeit, Gestaltung dezentraler Arbeitsplätze und der damit verbundenen Produktivitätsgewinne, führen zur weiteren Verbreitung.
- Die digitale, papierlose Bewerbung hat sich längst etabliert. Mittlerweile ermöglichen moderne Techniken und Systeme sogar Bewerbungsgespräche ohne die physische Anwesenheit der sich bewerbenden Person.
Über die Ergebnisse der Befragung werden Lucia Falkenberg und Natalie Haller nach erfolgter Auswertung berichten.
Papierlos? Läuft!
Florian Kohl, Geschäftsführer des Revista Verlags und Bundesvorstand Innovation der Wirtschaftsjunioren, stellte in Frage, ob die Zunahme der elektronischen Prozesse tatsächlich zu einer Einsparung von Papier führe. Er bezweifelte dies und führte als Beispiel einen elektronischen Zahlvorgang an.
„Der Prozess als solcher funktioniert bereits vollkommen elektronisch“, so Kohl. „Jeder dieser Zahlvorgänge produziert jedoch einen Papierbeleg, häufig sogar mit zusätzlich ausgedruckten Gutscheinen oder der Information über einen erzielten Punktestand.“
Ging der Trend vor einigen Jahren noch dahin, die Aufmerksamkeit der Kunden über den elektronischen Weg zu erreichen, sei nun wieder eine Dokumentation auf Papier verstärkt zu beobachten. „Die Menge der auf elektronischem Weg übermittelten Werbemaßnahmen hat heute einen so großen Umfang erreicht, dass ihnen kaum noch Beachtung geschenkt wird“, so Kohl.
Dies führe dazu, dass Unternehmen, die mit ihren Werbemaßnahmen Aufmerksamkeit erreichen möchten, ihre Werbebotschaften wieder auf Papier drucken und übermitteln. Dies führt zu Bergen von Flyern und Broschüren. Auch Persönliche Einladungen per Post erhöhen die Aufmerksamkeit im Vergleich zu E-Mails deutlich. Zudem sind Flyer-Beilagen in Versandpaketen bereits eine beliebte Dienstleistung.
„Einsparung bei elektronischen Rechnungen sind jedoch enorm und ein Kernprozess der Digitalen Transformation“, so Kohl. Generell werde eine elektronische Unterstützung der Prozesse in Unternehmen und Verwaltung weiter zunehmen. Hierzu kam die Rückmeldung von Seiten der Teilnehmer, dass – kulturell und historisch bedingt (insbesondere in der öffentlichen Verwaltung) – viele Dokumente nur „etwas wert“ seien, wenn sie auf Papier gedruckt und mit Unterschrift versehen sind. Ob die fortschreitende Digitalisierung insgesamt zu einer Verringerung, Erhöhung oder einem gleichbleibendem Stand des Papierverbrauchs in Deutschland führe, sei also nach wie vor unklar.
Ganzheitliche Bewertungsmethoden zur nachhaltigen Gestaltung der IKT
Carl-Otto Gensch, Bereichsleiter Produkte & Stoffströme beim Öko-Institut e.V. wies im Rahmen seines Beitrags darauf hin, dass der Begriff „Ökobilanz“ ein seit vielen Jahren feststehender Begriff sei, der von seiner Definition her möglicherweise nicht zu 100 Prozent dem entspreche, was im vorliegenden Fall der Internetwirtschaft betrachtet werden soll.
Gensch definierte eine Ökobilanz als „eine Methode zur systematischen Analyse der Umweltwirkungen von Produkten (oder Dienstleistungen) entlang des gesamten Lebensweges der Produkte“. Daneben stehe die Klimabilanz, die alle potenziell bilanzierbaren Auswirkungen von Treibhausgasen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Produktes berücksichtige.
Als eine interessante Größe für die Digitalisierung nannte Gensch den Rebound-Effekt, der den Unterschied angibt, zwischen möglichen Ressourceneinsparungen, die durch bestimmte Effizienzsteigerungen entstehen, und den tatsächlichen Einsparungen. Anhand von zwei Beispielen verdeutlichte Gensch die vielen Hierarchien und Zusammenhänge, die in den Stoff- und Energieströmen für eine Ökobilanz dargestellt werden müssten. So dauere es beispielsweise fünf Jahre, die sehr detaillierte Ökobilanz für eine Tiefkühlpizza zu erstellen.
Ökobilanzen basieren auf einem relativen Ansatz: „Ressourcen-Aufwand und potentielle Umweltauswirkungen werden auf den Nutzen des betrachteten Systems bezogen. Die Festlegung der funktionellen Einheit ist abhängig von Ziel und Untersuchungsrahmen der Studie.“
Er warnte jedoch vor Marketing-orientierten Schnellschüssen, die der sehr komplexen Realität nicht gerecht würden. Auf der anderen Seite wurde dem Auditorium im Verlauf des Vortrags klar, dass der Detaillierungsgrad, der durch das Öko-Institut vertreten wird, für eine Ökobilanz der Internetwirtschaft nicht praktikabel sei, was auch in der anschließenden Diskussion zum Ausdruck kam.
Für einen erkennbaren Nutzen, müsste eine Ökobilanz der Internetwirtschaft beinahe in „Real Time“ erstellt werden, so die Meinung eines Teilnehmers, da sich Technologien fortwährend ändern, selbst wenn so nicht alles in der Tiefe dargestellt werden könne. Es müssten praktikable Wege gefunden werden, eine Ökobilanz darzustellen und aussagekräftige Modelle zu erstellen.
In seinem Fazit zur Veranstaltung stellte Prof. Dr. Georg Rainer Hofmann unter anderem fest, dass man die Faktoren, die in die Ökobilanz einer Internetwirtschaft aufgenommen werden, genau definieren und vermitteln müsse. Ein mögliches Ziel wäre, mithilfe einer Studie des eco Verband die entsprechenden Möglichkeiten und Grenzen darzustellen.
Downloads
Lars Steffen:
Begrüßung, Termine und Neues aus der Kompetenzgruppe vom 23.03.2017
Dr. Béla Waldhauser:
Energieeffizienz und Ökobilanz eines Rechenzentrums
Natalie Haller:
Ideensammlung zum Energiesparpotential der grünen neuen Arbeitswelt
Florian Kohl:
Papierlos? Läuft!
Carl-Otto Gensch:
Ganzheitliche Bewertungsmethoden zur nachhaltigen Gestaltung der IKT
Meike Schumacher:
Protokoll vom 23.03.2017