14.05.2024

Rettungsmobilität: Interview mit Joachim Schade, Institut für Automation und Kommunikation in Magdeburg

Der Einsatz von Rettungsdrohnen, Telemedizin, 5G und Künstliche Intelligenz: digitale Dienste und Technologie optimieren das Rettungswesen. Am 28. Mai diskutiert die Kompetenzgruppe Mobility im Kölner eco Office unter dem Motto „Digitalisierung, 5G und KI – Wie sich Rettungsmobilität verändert“ gemeinsam mit unseren Expert:innen, den Status quo der Rettungsmobilität, was in der Theorie und in der Praxis möglich ist und welche Lösungen bereits eingesetzt werden. Noch bis zum 23. Mai können Sie sich für die Veranstaltung anmelden. Wie die Rettungsmobilität von der Nutzung von 5G profitiert, darüber haben wir im Vorfeld mit Joachim Schade, ifak – Institut für Automation und Kommunikation e. V., gesprochen.

Joachim Schade arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Automation und Kommunikation in Magdeburg im Geschäftsfeld Verkehr und Assistenz, wo er das Themenfeld „Vernetztes Fahren“ verantwortet. Zu seinen Aufgaben zählen Leitung und Bearbeitung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten mit Bezug zu Verkehrsdatenerfassung und -verarbeitung.


Inwieweit profitiert die Rettungsmobilität von der Nutzung von 5G?

Joachim Schade: 5G bietet eine Reihe von Möglichkeiten, die vorhergehende Mobilfunkstandards noch nicht besaßen. Merkmale von 5G sind beispielsweise die Vernetzung einer hohen Zahl von Kommunikationsteilnehmern, wie sie bei IoT-Anwendungen gefordert ist, die Datenkommunikation mit extrem kurzen Übertragungs- und Antwortzeiten im Millisekunden-Bereich oder die Übertragung großer Datenmengen, wie z. B. Videodaten in Echtzeit. Ein Anwendungsbeispiel, wo die Rettungsmobilität von 5G profitiert, ist die Übertragung von Live-Videodaten einer Unfallstelle mithilfe von Drohnen an die Leitstelle oder die Rettungswagen. Damit können sich die Einsatzkräfte noch vor Erreichen der Unfallstelle ein Bild der Lage vom Unfallort verschaffen, den Einsatz optimieren und so wertvolle Zeit gewinnen.

Eine vielversprechende Neuerung bei 5G ist auch die Möglichkeit, Datenkanäle exklusiv nutzen zu können. Ich buche mir sozusagen einen Übertragungsslot und muss mir die Bandbreite nicht – wie beim drahtlosen Datenverkehr normalerweise üblich – mit anderen Teilnehmern teilen. Insbesondere bei einem Rettungseinsatz kann dies enorme Vorteile bringen, wenn z. B. bei Katastrophenfällen und überlasteten Mobilfunknetzen die Datenkommunikation bei den Rettungskräften immer noch funktioniert.

 

Im Projekt des 5G-Reallabors haben Sie ein Priorisierungssystem zur Beschleunigung von Rettungswagen für Wolfsburg entwickelt. Wie funktioniert das genau?

Schade: Bei Eintreffen eines Notrufs in der Leitzentrale der Feuerwehr Wolfsburg wird ein Alarm generiert und die entsprechenden Einsatzfahrzeuge mit dem Einsatz beauftragt. Das Priorisierungssystem erkennt den Alarm und weiß auch, welche Einsatzfahrzeuge beauftragt wurden. Daraufhin wird eine optimale Route, beginnend vom aktuellen Standort der Einsatzfahrzeuge bis zum Einsatzort generiert. Nun werden nach und nach die Ampeln an allen Kreuzungen, die von den Einsatzkräften während der Einsatzfahrt überfahren werden auf Grün geschaltet. Wichtig dabei ist, dass die Grünschaltung nicht zu früh passiert, um den normalen Verkehrsablauf nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen, aber auch nicht zu spät, damit der an den Ampeln wartende Verkehr rechtzeitig abfließen kann und die Einsatzfahrzeuge ungehindert und verzögerungsfrei die Kreuzung passieren können.

Das Priorisierungssystem läuft vollständig automatisiert, d. h. es sind keinerlei manuelle Eingriffe notwendig. Dies ist besonders wichtig, da der operative Betrieb bei der Feuerwehr nicht gefährdet werden darf und stellt eine wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz des Systems dar.

 

Es gab bereits eine Testphase für das Priorisierungssystem. Welche Erkenntnisse und Learnings haben Sie dabei gesammelt?

Schade: Das Priorisierungssystem besteht aus mehreren Komponenten und Systemen, die darüber hinaus in unterschiedlichen Verantwortlichkeiten liegen. Damit das Ganze funktioniert, sind eine Reihe von Voraussetzungen notwendig. So muss sichergestellt werden, dass die Kommunikation zwischen den Systemen reibungslos abläuft. Hierzu wurden Schnittstellen geschaffen bzw. ertüchtigt, welche den Datenaustausch zwischen den beteiligten Systemen ermöglichen. Einen besonders wichtigen Aspekt stellt die Datensicherheit dar. Gerade in sicherheitskritischen Bereichen wie der Feuerwehr ist es essenziell, dass Daten manipulationssicher und abhörgeschützt übertragen werden. Im Testbetrieb ging es dann darum, evtl. noch vorhandene Fehler zu finden und das System zu optimieren, mit dem Ziel eines späteren stabilen und fehlertoleranten Produktivbetriebs. Die Entwicklungsarbeiten und die Evaluierung des Priorisierungssystem mit insgesamt 5 beteiligten Partnern war eine herausfordernde, aber auch spannende Aufgabe. Am Ende konnte die Funktionsweise – zunächst anhand von Testfahrten und später mit echten Einsatzfahrten – erfolgreich demonstriert werden.

 

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft der Digitalisierung des Rettungswesens werfen: Was braucht es aus Ihrer Sicht?

Schade: 5G bietet mit seinen vielen neuen Features ein großes Potenzial bei der Digitalisierung des Rettungswesens. Die zukünftige Nutzung von 5G als einheitlichen Standard für die Sprach- und Datenkommunikation bei Rettungsdiensten und allgemein beim Behördenfunk vereint die Vorteile des bislang zum Einsatz kommenden aber schmalbandigen digitalen Behördenfunks TETRA mit den neuen Möglichkeiten eines modernen Breitband-Mobilfunkstandards. Sogenannte einsatzkritische Dienste, also Sprach- und Datendienste für den Behördenfunk finden sich bereits in den Spezifikationen des 5G-Standards wieder. Die vollumfängliche Umsetzung des Standards in den öffentlichen 5G-Netzen ist aber zum überwiegenden Teil noch nicht erfolgt. Um die Vorteile von 5G für die Rettungsmobilität auch praktisch nutzen zu können, ist eine möglichst schnelle Realisierung der neuen 5G-Spezifikationen sowie der flächendeckende Netzausbau – auch und gerade im ländlichen Raum – dringend notwendig.

 

Vielen Dank für das Interview, Herr Schade.

Rettungsmobilität: Interview mit Joachim Schade, Institut für Automation und Kommunikation in Magdeburg