27.04.2021

Technischer Service 4.0 – der Service der Zukunft

Ein Beitrag von PD Dr. Fred Jopp, Hauke Timmermann, Christine Neubauer und Andreas Weiss

Der deutsche Mittelstand steht unwidersprochen vor den größten Herausforderungen seiner Geschichte: der kritische Pfad, der sich hier ergibt, ist gekennzeichnet durch Wegpunkte wie Fachkräftemangel, massive Zunahme internationaler Konkurrenz, starke Anpassungsdrucke an moderne, digitale Geschäftsmodelle. Dies sind sicherlich nur die Haupttreiber. Die geforderte, wesentliche Veränderung in den Wertschöpfungsketten, die von vielen als der Hebelpunkt angemahnt wird, ist sicherlich völlig zutreffend. Allerdings ist dies einfacher zu fordern als es für die deutschen KMU umzusetzen ist. Warum ist das so?

Der entscheidende Unterschied bei der Herangehensweise im Unternehmensfeld zwischen den großen Playern und den echten KMU im engeren Sinne, lässt sich an dieser Stelle auf einen kleinen Begriff kondensieren: Wissen. Konkret geht es dabei um das Wissen darüber, wie entscheidend smarte Services und Digitalprodukte für den Erhalt der Positionierung im internationalen Konkurrenzkampf geworden sind. Dies bedeutet, dass man verstehen muss, wie genau sich ein Wandel von einer klassischen Angebotsstruktur aus überwiegend analogen Produkten hin zum Angebot von smarten Dienstleistungen umsetzen lässt.

Die großen Player mit ihren großen Abteilungen zu Entwicklung, Business Intelligence, Entwicklung und Digitalisierung haben das schon lange verstanden, investieren und positionieren sich entsprechend. Basierend auf diesen Erfahrungen können dann die Wertschöpfungsketten digital umgebaut werden. Wenn dieser Ansatz einer vollständigen Digitalisierung auf die relevanten Segmente beim technischen Service übertragen wird, lässt sich dies als Service 4.0 bezeichnen: der technische Service für Industrie 4.0.

Digitale Hilfe durch den Service-Meister

Das Forschungsprojekt Service-Meister arbeitet seit dem Januar 2020 daran, die beim technischen Service 4.0 bestehende Wissenslücke zwischen dem deutschen Mittelstand und den Global Players zu schließen bzw. Hilfsangebote für den Mittelstand herzustellen. Zu diesem Zweck wurde zunächst ein generalisiertes Design-Layout für den gesamten technischen Service entwickelt. Abb. 2 zeigt die in sich schlüssige Abfolge aller notwendigen Segmente für technischen Service.

Hier wird der gesamte technischen Service in einzelne, konsekutive Segmente zerlegt, die dann jeweils vollständig digitalisiert werden und somit eine aufeinanderfolgende, automatisierte Abarbeitung des gesamten Service-Life-Cycles ermöglichen.

Technischer Service 4.0 - der Service der Zukunft

Abb. 2: Service 4.0, technischer Service im Service-Life-Cycle im Projekt Service-Meister

Für den gesamten Service-Life-Cycle werden im Projekt Service-Meister KI-basierte Tools entwickelt, mit denen zukünftig die Techniker aus dem Servicebereich ihre Aufgaben unterstützt werden können. Gleichzeitig ermöglicht dieser Ansatz eine praktische Umsetzung des vollständigen digitalen technischen Service für alle Industrie 4.0-Anwendungen.

Damit zukünftig erfolgreich die digitalen Dienstleistungen auf der Service-Meister-Plattform angeboten werden können, werden die bereits angefangenen Aktivitäten zur Identifizierung der Value Proposition demnächst abgeschlossen. Dann wird der Zustand der minimal marktfähigen Produkte erreicht sein, bei dem Klarheit über die Angebotslage und die Kundengruppe besteht.

Von den Produkten zum Service über Building Blocks

Ausgangspunkt einer solchen erfolgreichen Vermarktung ist es, dass die für die Service-Segmente bereits entwickelten KI-Tools (s. Abb. 2), wie z. B. die Tools für Predictive Analytics, Ticket-Dispatching oder die Service-Bots, so hinreichend generalisierbar sind, dass eine Übertragung aus dem Projektkreis hinaus auf andere, KMU-weite Service-Ansätze und Branchen möglich sein wird.

Hierdurch wird eine unternehmens-übergreifende Skalierbarkeit von Service 4.0 eintreten, da die anzubietenden Services anlagen-, abteilungs-, und firmenübergreifend einsetzbar sind.

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Abb. 3: Building Blocks und Code Segmente

Die Herangehensweise, mit der das Ziel der weitestgehenden Generalisierung der entwickelten KI-Tools und digitalen Services erreicht werden soll, heißt KI-Building Blocks. Als Building Blocks werden in der Softwareherstellung Bausteine bezeichnet, die gekapselte Funktionalitäten von Software abbilden und es damit ermöglichen, die definierten Geschäftsanforderungen erfolgreich und repetitiv zu umzusetzen.

Wenn die richtigen, adäquaten Building Blocks für eine Anwendung ausgewählt werden, so führt dies normalerweise zu Innovationsschüben, das Zusammenspiel der bisher aktiven Systemkomponenten wird verbessert und die Performance neu eingesetzter Anwendungen wird verbessert.

Generell stellen Building Blocks also eine Kapselung klar definierter Funktionen dar, die den geschäftlichen Anforderungen in einem Unternehmen voll entsprechen. Sie haben folgende Eigenschaften:

• Eigenschaften und Funktionen von Building Blocks sind gut spezifiziert
• Building Blocks sind austauschbar und wieder verwendbar.
• veröffentlichte Schnittstellen gewährleisten eine maximale Funktionalität
• Building Blocks können mit anderen und aus anderen Building Blocks zusammengesetzt werden
• Building Blocks können mit anderen Building Blocks interagieren.

Genau diesen Ansatz verfolgen wir bei der Herstellung von KI-Building Blocks, indem wir die bisher entwickelten KI-Tools als generische Funktionseinheiten verstehen, mit denen sich alle Segmente aus dem Service-Life-Cycle (s. Abb. 1) vollständig abbilden lassen, dabei eine hohe Wiederverwertbarkeit und eine hohe Kombinierbarkeit ermöglichen.

Diese Arbeiten werden im Herbst 2021 vollständig abgeschlossen sein, dies bedeutet, dass dann für jedes Servicesegment ein Building Block vorliegt, der mit anderen Building Blocks kombinierbar sein wird. Aus diesen Modulen werden sich verschiedenste Landschaften aus dem Bereich Service 4.0 frei kombinierbar abbilden lassen.

Building Block KI-basierte Ticketerstellung und Zuordnung

Ein Beispiel eines bereits weitgehend zu ende konzipierten KI-Building Blocks wird über die folgende, generalisierte Prozessstruktur bei der KI-basierten Ticketerstellung und -zuordnung (s. Abb. 1, Segment Nr. 2) im Einzelnen erläutert.

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Abb. 4 Generalisierter Programm-Ablauf des Life-Cycle-Elements 2, KI-basierte Ticketerstellung und -Zuordnung.

Serviceanfragen werden heutzutage sehr häufig über sog. Ticketsysteme oder auch Fallbearbeitungssysteme bearbeitet. Hierbei handelt es sich um Software-Systeme, die z. B. Service-Anfragen von Kunden (z. B. „Druckmaschine druckt nicht!“) als kleine Meldungsbausteine aufnimmt, diese der Problemart nach zu relevanten Klassen gruppiert und diese Meldungen dann mit der Bitte um Problembehandlung den richtigen Techniker-Gruppen zuweist. Die weiteren Vorgänge werden anhand der Schrittfolgen aus Abb. 4 verdeutlicht.

Ein Serviceticket kann über verschiedenste Eingangskanäle in das System hineinkommen, wie z. B. über E-Mail, Telefon, direkter Systeminput und Call-Center (s. Abb. 4, Schritt 1). Es kann im folgenden verschiedene Zustände aufweisen, wie z.B. „in Bearbeitung“ oder „geschlossen“. Im Schritt 2. werden die Informationen aus den Tickets mittels ETL-Methoden extrahiert und zur weiteren Verarbeitung vorverarbeitet.

Im Schritt 3 werden diese vorprozessierten Daten dann eine KI-Komponente übergeben, die an den Daten Analysen vornimmt. Im 5. Schritt werden dann Klassifikationen vorgenommen. Zwischen diesen beiden Komponenten kann ein Interface zur Zwischenausgabe angegliedert sei. Im Schritt 6. Können weitere Vorschläge angeschlossen werden, die dann auch über ein Interface abrufbar sein können. Das hier vorgeschlagene Softwareablaufschema ist nicht stationär, sondern kann unter entsprechend verschiedenen Bedingungen an beliebigen Stellen erweitert werden.

Mehrfachkombinationen für maximalen Service

Auf der Service-Meister-Plattform wird es zukünftig möglich sein, für jedes der sechs Segmente individuell Service- und Datenprodukte zu buchen. Da die soeben beschriebenen Strukturen und Strukturprozesse, so wie sie durch Building Blocks für KI-Tools abgebildet werden, prinzipiell beliebig kombinierbar sind. Daraus ergibt sich die Basis für ein Service-Ökosystem, das perfekt auf die Prozesse des technischen Service abgestimmt wird.

Die freie Kombinierbarkeit der einzelnen Servicemodule, die sich aus dem Service-Life-Cycle ergeben, wird eines der Alleinstellungsmerkmale der Service-Meister-Plattform sein. Sie basiert auf der hohen Domänenexpertise, die aus den sechs verschiedenen Use Cases aus dem Service-Meister-Projekt in die generalisierten Building Blocks eifließen werden. Die Kombinierbarkeit der Service-Bausteine zum Lebenszyklus lässt sich wie folgt veranschaulichen:

• Modul Predictive Analytics + Modul Ticket Dispatcher (Abb. 2, Segmente 1+2).
- Dieses würde eine Service-Anforderung erkennen und als Service-Ticket weiterleiten.
• Predictive Analytics Modul + Ticket Dispatcher Modul + Modul 4, wie in Beispiel Abb. 5 dargestellt (Abb. 2, Segmente 1+2+4)
- Dies würde einen Service-Bedarfsfall erkennen, als Service-Ticket anlegen und weiterleiten, ein Chatbot würde das Ergebnis dem Techniker vorlesen oder mit dem Techniker am Servicefall vor Ort in ein Gespräch treten
• Predictive Analytics Modul + Ticket Dispatcher Modul + 5 Modul (Abb. 2, Segmente 1+2+5).
- Dieses würde einen Servicefall erkennen, als Serviceticket anlegen und weiterleiten, woraufhin automatisch ein Servicebericht erstellt würde
• etc.

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Abb. 5 Beispiel für die Auswahl von Modulen: Predictive Analytics-Modul + Ticket-Dispatcher-Modul + Modul 4

Schnittstellen für Digitale Serviceöksysteme

Beim Einsatz der Building Blocks als frei kombinierbare KI-Softwaremodule wird die vollständige und generalisierte Spezifikation der gewünschten Eigenschaften und Funktionen des jeweiligen KI-Tools sowie eine sichere Schnittstellenanbindung von entscheidender Bedeutung sein.

In diesem Sinne setzen wir daher bei den angewandten Service-API auf offene Schnittstellentechniken, mit der wir zukünftig einen Standard für Service-Apps definieren werden. Dies ist sicherlich eine der Bedingungen dafür, dass die KI-Tools dann über Plug und Play miteinander in beliebiger Kombination einsetzbar sein werden und damit eine Voraussetzung für die Integration von Angeboten von Dritten auf der Plattform.

Wir freuen uns darüber, mit unserem großen Konsortium derart erfolgreich an der vollständigen und skalierbaren Digitalisierung des Servicewissens für Industrie 4.0 mitzuarbeiten und damit die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands im technischen Service langfristig unterstützen zu können.

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