Der heute vorgestellte Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD enthält nach Einschätzung von eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. einige wichtige digitalpolitische Weichenstellungen, welche die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode verpasst hat. Eine politische Vision zur digitalen Transformation in Deutschland ist allerdings nach wie vor nicht erkennbar. „Wir sehen, dass die Koalitionsparteien die Versäumnisse der letzten vier Jahre in vielen digitalpolitischen Grundsatzfragen erkannt haben und entsprechend korrigieren wollen, beispielsweise in den Bereichen digitale Bildung und Forschung und beim Ausbau digitaler Infrastrukturen“, sagt eco Vorstandsvorsitzender Oliver Süme, ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept zur Gestaltung der digitalen Transformation in Deutschland sei allerdings nach wie vor leider nicht erkennbar. Der Verband bedauert insbesondere, dass nach wie vor nicht geplant ist, dem Thema Digitalisierung mit einem eigenen Ressort auch institutionell endlich einen dem Thema angemessenen Stellenwert einzuräumen. „Dass wir im Jahr 2018 nun wieder ein Heimatministerium bekommen, aber nach wie vor kein Digitalministerium, ist aus unserer Sicht ein Armutszeugnis und spricht nicht unbedingt für die visionäre Strahlkraft der künftigen Bundesregierung.“
eco hatte nach der Bundestagswahl in einem 5-Punkte Papier die aus Sicht der Internetwirtschaft dringendsten netzpolitischen Aufgaben für die neue Bundesregierung formuliert.
Digitale Infrastruktur: Richtige Ausbauziele, knappe Finanzierung, fairer Wettbewerb
Mit der Zusage die Gigabitgesellschaft bis zum Jahr 2025 Realität werden zu lassen und dem damit verbundenen Bekenntnis zum vorrangig wettbewerbsgetriebenem Glasfaserausbau erfüllt der Koalitionsvertrag eine wichtige Kernforderung des Internetverbands. Einzig die Finanzierung könnte aus Sicht von eco auf stabileren Füßen stehen und die Gewährleistung fairen Wettbewerbs klarer im Fokus. Ein Anspruch auf schnelles Internet könnte abhängig von seiner Ausgestaltung und der zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel zur Herausforderung werden und sich insbesondere ungünstig für kleinere und mittlere Unternehmen auswirken, die selbst ausbauen wollten oder zum Ausbau verpflichtet werden.
Digitale Wirtschaft und Bildung: Anschub von Innovationen
eco begrüßt ebenfalls die angekündigten Initiativen zur Förderung digitaler Bildung und Forschung. Die konsequente Umsetzung des in der letzten Legislaturperiode bereits vorgestellten Digitalpakts #D und die Pläne im Bereich Lehrerqualifizierung sind aus Sicht des Verbands wichtige Voraussetzungen für den erfolgreichen digitalen Wandel des deutschen Bildungssystems.
Zu begrüßen ist aus Sicht der Internetwirtschaft auch die geplante Anpassung der Hightech-Strategie in Bezug auf eine stärkere Förderung digitaler Innovationstechnologien wie Blockchain, AI, Robotik und Quantencomputer, die den Digitalstandort Deutschland stärken.
Recht und Unrecht im Internet: Fehlentscheidungen aus letzter Legislaturperiode werden nicht korrigiert
Kritisch bewertet eco, dass das stark umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Grundsatz bestehen bleiben und lediglich nachgebessert werden soll. Der Verband bewertet das Gesetz nach wie vor als Gefahr für die Meinungsfreiheit im Netz und als netzpolitische Fehlentscheidung.
Grundsätzlich ablehnend steht eco auch den im Koalitionsvertrag formulierten Plänen zu einer Revision der eCommerce Richtlinie gegenüber. Es überrascht, dass die Regelungen als bewährt angesehen werden, Uploadfilter als unverhältnismäßig abgelehnt werden und dennoch eine Überarbeitung der Notice and Takedown Regelung auf europäischer Ebene gefordert wird. Dies wäre für die wünschenswerten europäischen KMUs und Startups ein immenser Nachteil und würde den internationalen Rückstand der europäischen Wirtschaft weiter erhöhen.
Sicherheit und Vertrauen: Regierung muss Verantwortung ernst nehmen
Der von den Verhandlungspartnern vorgeschlagene „Nationale Pakt für Cybersicherheit“ setzt auf einen diskursiven Ansatz bei der Gestaltung von Cyber-Sicherheit. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft, wie der Vertragsentwurf dies fordert, kann indes nur gelingen, wenn der Staat seine Verantwortung im digitalen Raumen ernst nimmt. Hochumstrittene Punkte wie der sog. Bundestrojaner oder Vorratsdatenspeicherung tauchen im Koalitionsvertrag jedoch nicht einmal auf. Das lässt Zweifel daran aufkommen, dass dem plakativen Bekenntnis auch angemessen Rechnung getragen wird.
Politischer Stellenwert: Kein Ressort für Digitalpolitik
Auch in der zentralen Forderung nach einer Grundsätzlichen Aufwertung und Neuverortung der Digitalpolitik in der institutionellen Gesamtaufstellung der Bundesregierung bleibt der Koalitionsvertrag hinter den Erwartungen des Internetverbands zurück. Die Tatsache, dass offenbar kein eigenes Digitalressort oder eine zentrale Koordinierung im Bundeskanzleramt geplant ist, zeigt aus Sicht von eco, dass die Koalitionspartner die strategische Bedeutung der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland offenbar nach wie vor nicht erkannt haben. „Diese institutionelle Schmalspur-Aufstellung könnte wie schon in den vergangenen Regierungsjahren zum Hemmschuh für die Umsetzung der ambitionierten Ziele im Bereich Infrastrukturausbau und Innovationsförderung werden und ist aus Sicht der Internetwirtschaft eine verpasste Chance“, so eco Vorstandsvorsitzender Oliver Süme.
Die vollständige Internetpolitische Agenda mit insgesamt 30 Kernforderungen der Internetwirtschaft für eine moderne Netzpolitik ist hier online verfügbar.